Bundeswehr in Personalnot Bundeswehr Bitterfeld in Personalnot

Bitterfeld - Hauptfeldwebel René Morgenstern ist ein Bilderbuchsoldat: kurz geschorene Haare, kräftige Statur und ein fester Händedruck. Dem ehemaligen Spieß merkt man seine frühere Rolle an. Die soldatische Attitüde legt er auch heute nicht ab, wo er in der Bitterfelder Außenstelle der Agentur für Arbeit auf Nachwuchssuche ist. Seine Sätze sind kurz und im Staccato-Stil. Entschlossen steht er da, die Dienstuniform sitzt akkurat.
Die Tische des Beratungszimmers in der Arbeitsagentur hat er mit Broschüren drapiert. Auf den Werbeplakaten an den Wänden stehen Slogans wie: „Krisenherde löschst du nicht mit Abwarten und Tee trinken“. Ein Mitarbeiter der Arbeitsagentur tritt ins Zimmer und bietet Morgenstern einen Kaffee an, dieser lehnt dankend ab. Man kennt sich bereits, denn jeden vierten Dienstag und Donnerstag im Monat stellt die Agentur der Karriereberatung der Bundeswehr Räumlichkeiten zur Verfügung.
Mittlerweile wirbt die Bundeswehr mit sogenannten Adventure Camps – eine Art Ferienlager in Camouflage. Anstatt von Schießübungen und Appellen können hier bereits 15-jährige Schüler einen Hindernisparcours überwinden, Geländespaziergänge unternehmen und Speedboot fahren – die Bundeswehr als scheinbar großer Abenteuerspielplatz.
Marion Tuchel, Sprecherin der Arbeitsagentur, will die Jugendlichen für die Bundeswehr öffnen, denn „schließlich gibt es bei der Bundeswehr, auch andere Berufe als den klassischen Soldaten.“ Die Arbeitsagentur vermittle dann die Termine, denn ohne die geht heute gar nichts. Eine gute Stunde nimmt sich Hauptfeldwebel Morgenstern Zeit für jeden potenziellen Rekruten.
„Befehl und Gehorsam zählen immer noch“
„Herr Richter?“, fragt der Hauptfeldwebel. „Jawohl“, schallt es aus dem Flur. Der 20-jährige Benjamin Richter ist mit Morgenstern zum Beratungsgespräch verabredet. Richter befindet sich im letzten Ausbildungsjahr, bald wird er seine Lehre zum Lagerlogistiker abschließen. Den Wunsch, Berufssoldat zu werden, hegt der 20-Jährige schon länger. „Ich will meinem Land dienen und habe Interesse mich weiterzubilden“, sagt Benjamin Richter. Bei der Bundeswehr will er seine Meisterprüfung ablegen und vielleicht auch sein Abitur nachholen.
176.015 aktive Soldaten und Soldatinnen, davon 166.523 Berufs- und Zeitsoldaten und 9.492 Freiwillig Wehrdienstleistende, sind bei der Bundeswehr beschäftigt. Doch seitdem der Wehrdienst abgeschafft wurde, geht der Truppe der Nachwuchs aus. An Schulen, auf Messen und in Arbeitsagenturen wird daher kräftig die Werbetrommel gerührt.
„Meine Entscheidung ist schon lange gefallen“, sagt er. Schon vor drei Jahren hatte er ein erstes Bewerbungsgespräch. Seine damalige Freundin habe ihm aber den Berufseinstieg bei der Bundeswehr ausgeredet. Den will er nun nachholen, als Panzergrenadier oder Jäger - allerdings nicht im Gebirge oder in der Luft, da bekomme er ein flaues Gefühl im Magen.
Richter beschreibt sich als unternehmensfreudig, er verreise gerne, am Handgelenk hängen wie Auszeichnungen zahlreiche Festivalbändchen. Benjamin Richter ist freundlich und zurückhaltend. Als rebellischer Typ wäre er für die Truppe auch unpassend, erklärt Morgenstern. Statt Einzelkämpfern suche man den „kameradschaftlichen Soldaten“ und das bedeute, „Befehl und Gehorsam zählen bei uns immer noch“. Zudem müssen sich Bewerber zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, „das heißt, du bist politisch nicht links oder rechts“.
Nach einer Kurzunterweisung über die Ziele und Aufgaben der Bundeswehr folgt der wohl entscheidende Teil: Morgenstern zeigt Richter seine Karrierechancen auf. Die seien natürlich abhängig von der schulischen Ausbildung. Mit seinem Realschulabschluss bleiben ihm ein Studium und eine Offizierslaufbahn verwehrt. Infrage kommt hingegen eine Rolle in der Mannschaft oder bestmöglich als Feldwebel. Beim letzteren müsse sich der junge Mann jedoch für zwölf Jahre verpflichten. Auch zu Auslandseinsätzen müsse er sich bereiterklären, vier bis sechs Monate können die dauern. Auch Morgenstern war im Ausland, in der Nähe von Abu Dhabi. Das klinge nach Urlaub, doch habe er während dieser Zeit ein Bataillon der irakischen Armee ausgebildet.
Wenige Ostdeutsche im Top-Personal der Bundeswehr
Entscheidend dürfte für viele Bewerber die Frage der Bezahlung sein. Auch Richter interessiert das. Morgenstern versichert ihm, dass er bereits im Mannschaftsdienst 1.200 Euro netto monatlich verdienen könne, hinzu kämen möglicherweise Alters-, Kinder- und Qualifikationsboni.
Richter ist an diesem Tag nicht der einzige Bewerber. Fünf bis sieben kommen pro Beratungstag. Das Interesse vieler junger Ostdeutscher an der Bundeswehr erklärte vor kurzem Iris Gleicke (SPD), Ostbeauftragte der Bundesregierung, so: „Die Tatsache, dass vergleichsweise viele Ostdeutsche zur Bundeswehr gehen, ist häufig schlicht eine Folge des Mangels an anderen guten Berufsalternativen in den neuen Ländern.“ Ostdeutsche sollen bei der Bundeswehr überproportional vertreten sein - auch im Ausland. Laut einer Studie der Uni Leipzig schaffen es aber nur wenige in die Top-Dienstgrade. Nur zwei Ostdeutsche sind unter den Generälen und Admirälen vertreten, das ist ein Prozent.
Am Ende des Bewerbungsgesprächs schätzt Hauptfeldwebel Morgenstern den Kandidaten ein: „Du bist ein ruhiger, lockerer Typ und kannst dich ausdrücken. Salopp formuliert: Du bringst zwei Sätze unfallfrei heraus.“ Nun kann Benjamin Richter seine Bewerbungsformulare entgegennehmen. Schickt er sie ausgefüllt ab, folgt womöglich ein dreitägiger Einstellungstest. Dann zeigt sich, ob er für die Bundeswehr tauglich ist. (mz)