Bitterfeld Bitterfeld: Zum Abschied ein «Du wirst uns fehlen»
BITTERFELD/MZ. - In diesem Dezember macht Barbara Engmann zum ersten Mal nur zu Hause die Türchen eines Adventskalenders auf. Und auch zum ersten Mal seit 38 Jahren gehört eine ganz andere Tür nicht mehr zu ihrem Alltag: die des heutigen Bitterfeld-Wolfener Amtsgerichts. Dort hat die gelernte Stenotypistin als Sekretärin begonnen und es bis zur Justizamtsinspektorin geschafft. Jetzt hat sie ihrem Berufsleben den Rücken gekehrt, ist auf Basis von Altersteilzeit in den Ruhestand gegangen.
"Dass es mir so leicht fällt, zu Hause zu sein, hätte ich gar nicht gedacht", sagte die 61-Jährige bei einer Verabschiedungsrunde, nachdem sie schon einige Wochen "Probezeit im neuen Job" hinter sich hatte. Alle Kolleginnen und Kollegen hatte sie eingeladen, um mit Büfett und Sekt Dank zu sagen für die gemeinsame Zeit und Erinnerungen auszutauschen. Und dabei merkte sie dann, dass der Abschied wohl doch nicht ganz so leicht fällt wie angenommen.
Tränen der Rührung gab es aber nicht nur bei Barbara Engmann, die von allen nur Bärbel genannt wird, sondern auch bei ihren "Mädchen", mit denen sie seit der Wende in der Strafabteilung zusammen gearbeitet hat.
Doch dem Abschiedsschmerz folgten bald schon Freudentränen. Neben vielen anderen Geschenken wie Blumen, Fotoalbum oder Relax-Liege gab es für die künftige Rentnerin nämlich noch ein besonderes Highlight: einen "Ferrari" in Gestalt eines ausgesonderten Rollators, der ordentlich aufgemotzt wurde - "getunt" gewissermaßen, wie es in der Autofachsprache heißt. Richter Hubert Grätz hat dabei seine Fingerfertigkeiten als Hobby-Bastler eingebracht. Mit "motorisiertem Ferrari" ausgestattet und die passende Mütze auf dem Kopf, wird Frau Engmann künftig bei Spaziergängen wohl kaum zu übersehen sein.
Ja, es kann auch spaßig zugehen in einer Behörde, in der sonst eigentlich ernste Angelegenheiten auf der Tagesordnung stehen. Fast vier Jahrzehnte hat Barbara Engmann, die nach einigen Jahren in der Braunkohle zum damaligen Kreisgericht gekommen war, diese Arbeit in all ihren Facetten kennen gelernt. Im Schreibzimmer hat sie 1972 begonnen und damals "alles gemacht, was so angefallen ist". Ladungen und Mahnbescheide, Protokolle und Urteile geschrieben. Nach der Umstrukturierung innerhalb des Gerichtes Anfang der neunziger Jahre kam sie zur Strafabteilung, wo sie seitdem als "gute Seele" galt. Immerhin ist sie zusammen mit einer weiteren Kollegin die Dienstälteste im ganzen Bitterfelder Gericht.
Ein "Urgestein" nannte sie Behördenchef Matthias Paterok, der sie zudem als ausgesprochen zuverlässig und fleißig beschrieb, als wirkliche Stütze dieses Gerichtes und als ein großes Vorbild. Und der ihr - wie alle anderen natürlich auch - "viel Freude für ihr schönes Leben jetzt" wünschte.
Dass sie die haben wird, dessen ist sich Barbara Engmann sicher. Beim Lesen oder Spazierengehen beispielsweise, in der Sauna oder mit ihrer Sportgruppe in Renneritz, wo die eigentliche Bitterfelderin seit einigen Jahren ihr Zuhause hat. "Wir haben noch viel vor", meint sie sich und ihren Mann Heinz, der ebenfalls seit knapp zwei Jahren im Ruhestand ist. Die beiden reisen sehr gern und freuen sich auch auf die Besuche bei den beiden Töchtern und ihren Familien, die in Hamburg und am Chiemsee wohnen.
Neben diesem lachenden Auge ist da natürlich immer auch das weinende, wenn man Abschied nimmt von einem Beruf, der einen so viele Jahre begleitet und ausgefüllt hat. Noch dazu, wenn der so viel Spaß gemacht hat wie Barbara Engmann der ihrige. "Ich habe dabei viel erfahren und gelernt", sagt sie rückblickend. "Und ich habe auch viele Menschen kennen gelernt und von ihren Problemen gehört." Zu ihren interessantesten Aufgaben zählt sie das Protokollführen in Verhandlungen, auch wenn sie das Ganze oft noch danach beschäftigt hat. "So manches Mal liefen mir die Tränen übers Gesicht, wenn ich wieder am Schreibtisch saß", erinnert sie sich. "Vor allem dann, wenn sich Mütter nicht um ihre Kinder gekümmert haben oder ihnen völlig egal war, was mit ihnen passiert."
In den vergangenen 20 Jahren waren es meist von Richter Grätz geführte Prozesse, in denen sie als Protokollantin arbeitete. Als eine sehr angenehme und schöne Zusammenarbeit bezeichnet nicht nur sie diese Zeit. "Da hat sich im Laufe der Jahre eine Vertrautheit herausgebildet, dass man oft gar nicht mehr viel sagen musste, um sich zu verstehen", sagt Hubert Grätz. Als ruhig und ausgeglichen bezeichnet er die Atmosphäre, die von Zuverlässigkeit geprägt gewesen sei - so wie die ganze Abteilung eine "eingeschworene Truppe" sei. Eine Truppe, die das ähnlich sieht und der der Abschied von ihrer Bärbel ebenso schwer fiel. "Wir waren immer ein gutes Team", hatte Kollegin Steffi Mainka beim Überreichen der Geschenke gesagt und mit belegter Stimme hinzugefügt: "Du wirst uns fehlen."