Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: «Zehn Jahre sind eine gute Zeit, um neu zu schauen»
BITTERFELD/MZ. - Das bevorstehende Weihnachtsfest wird das letzte sein, das Dietrich Bräutigam in Bitterfeld verbringt. In jener Region, wo er mit seiner Familie vor knapp zehn Jahren eine neue Heimat fand. Wohin es ihn aber in erster Linie aus beruflichen Gründen verschlagen hatte: Im April 2001 begann Dietrich Bräutigam als Organist der evangelischen Kirchengemeinde in der Bitterfelder Stadtkirche. Und war fortan auch zuständig für die Kirchenmusik in den umliegenden evangelischen Gemeinden des Altkreises.
In wenigen Wochen hat der Kantor ein neues Betätigungsfeld, denn ab Februar läuft sein Arbeitsvertrag mit der evangelischen Kirche in Wetzlar. Und bis dahin wollen er und seine Familie auch ihre Zelte in der hessischen Domgemeinde aufgeschlagen haben, um schnell dort heimisch zu werden.
Wie schnell ihnen das gelingt, weiß der 38-Jährige zwar noch nicht, aber er ist zuversichtlich. "Obwohl die zehn Jahre hier eine sehr schöne Zeit waren", sagt er rückblickend, "in der sich viel getan hat und in der wir auch als Gemeinde so einiges erreicht haben." Allein wenn man die Sanierungsarbeiten in den Kirchen betrachte, könne man schon stolz sein. Mühlbeck nennt er und Pouch, Gossa und Schlaitz, eigentlich den gesamten Bereich der Dübener Heide. "Und es gibt viele besondere Orgeln in der Region", weiß Dietrich Bräutigam. "Alles das dürfte auch für meinen Nachfolger sehr erfreulich sein."
Wer sein Amt übernimmt, ist noch nicht entschieden. Die Ausschreibungsfrist sei erst vor kurzem abgelaufen. Eines aber steht fest: Der "Neue" wird ein reiches Erbe antreten können, damit allerdings auch vor anspruchsvollen Aufgaben stehen. Allein vier Chöre leitet Dietrich Bräutigam hier: neben dem bekannten Bitterfelder Bachchor auch die Kirchenchöre in Roitzsch, Krina und Rösa.
Neben den regelmäßigen und "ganz normalen" Auftritten gab es allein auf diesem Gebiet einige Höhepunkte in den letzten Jahren. Bräutigam erinnert an Bachs Matthäus-Passion, die der Bitterfelder Bachchor gemeinsam mit dem Köthener zu Gehör brachte. Oder an das Brahms-Requiem im vergangenen Jahr. Und nicht zuletzt freut sich Bräutigam darüber, dass es auch in den umliegenden Kirchen gelungen ist, Konzertreihen und andere Angebote zu etablieren.
"Das ist nicht selbstverständlich und war auch nicht immer leicht", denkt der Kantor zurück. "Oft sind wir dabei an die Grenze des Machbaren gestoßen." Aber durch die gute Unterstützung von Landkreis, Kommunen und auch Sparkasse habe man viele Vorhaben in die Realität umsetzen können.
Dass sich der Mann der Musik verschrieben hat, wurde ihm gewissermaßen schon in die Wiege gelegt. "Ich habe die Kirchenmusik wie Muttermilch eingesogen", sagt er selbst über sich. Kein Wunder: Sein Vater war Pfarrer im thüringischen Ilmenau, wo Bräutigam auch aufgewachsen ist und seine Jugend verbrachte. Da gehörte Musik zum Leben wie die Luft zum Atmen. Er hat Klavier und Orgel ebenso gelernt wie Trompete, spielte in einem Posaunenchor und in einem Orchester. "Schon relativ früh war für mich klar, in welche Richtung ich mich entwickeln will."
Nach dem Zivildienst hat er Kirchenmusik in Berlin studiert, später in Detmold. Und als es danach um die Bewerbungen ging, hat es in Bitterfeld gleich geklappt.
Der größte Höhepunkt, den Bräutigam in dieser Zeit erleben durfte, war das 100-jährige Jubiläum der Bitterfelder Stadtkirche in diesem Jahr. Ein würdiger Abschluss seines beruflichen Schaffens hier gewissermaßen. Doch das war eher Zufall. "Nach zehn Jahren ist es immer ganz gut, noch einmal neu zu schauen", sagt der Organist. "Das ist in der Kirchenmusik ähnlich, damit es sich nicht fest frisst."
Nun war die Anzahl der Jahre aber nur einer der Gründe, sich gerade jetzt zu verändern. "Unsere Kinder sind in einem Alter, wo es noch am günstigsten ist, sie in ein neues Umfeld mit neuer Schule und anderen Menschen zu bringen." Die beiden Jungen sind elf und neun Jahre alt, das Nesthäkchen ist ein Mädchen von drei. Auch Bräutigams Frau hat als Buchhändlerin in Wetzlar einen Arbeitsplatz in Aussicht.
Natürlich: Schwer fällt der Abschied schon jetzt. Der Abschied von den Freunden, die man hier gefunden hat, von den beruflichen Partnern - "man hängt auch an Projekten" - , von der Region, "die sich in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt hat".
Dennoch: Er freut sich sehr auf den neuen Lebensabschnitt. Und denkt, dass ihm die hier gesammelten Erfahrungen nur zugute kommen können. Auch wenn die neue Herausforderung eine andere Dimension hat: Während es in der hiesigen Kirchengemeinde rund 1 300 Mitglieder gibt, womit sieben Prozent evangelische Christen sind, erwarten ihn in den Wetzlarer Domgemeinden rund 11 000 Christen. Man kann dort von 50 Prozent Protestanten sprechen.
Auf gepackten Koffern sitzen die Bräutigams indes noch nicht, und davor graut es allen auch ein bisschen. "Schließlich hat sich einiges angesammelt in zehn Jahren, was aussortiert und verpackt sein will", sagt der Familienvater. Doch irgendwann muss angefangen werden, denn im Januar wird alles ganz schnell gehen. Bis zum 23. noch hier im Dienst, geht es schon am 1. Februar in Hessen los.
Vorerst jedoch wird in der alten Heimat Weihnachten gefeiert, was für einen Organisten ein ganz besonderes Fest ist - auch beruflich. Davor aber gibt es für den Kantor noch ein anderes: Das Adventskonzert am Sonntag mit dem Bachchor in der Stadtkirche ist gleichzeitig das letzte große Konzert unter Dietrich Bräutigams Leitung in Bitterfeld.
Das Adventskonzert mit Bachchor und Solisten beginnt am Sonntag um 17 Uhr.