Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Mutter mit mehr als 100 Schützlingen
ZÖRBIG/MZ. - "Sozialarbeit ist erst wirklich gut, wenn man sie eigentlich gar nicht merkt", sinniert Michaela Keßler. Die 39-Jährige ist seit nunmehr vier Jahren als Streetworkerin in der Stadt Zörbig tätig. Ursprünglich hatte die Wolfenerin Erzieherin gelernt und arbeitet bereits seit mehr als zehn Jahren im sozialen Bereich mit Kinder und Jugendlichen. Drogen, häusliche Gewalt und Alkohol spielen dabei immer wieder eine große Rolle. "Es ist absolut entscheidend, Vertrauen aufzubauen", beschreibt sie ihre wichtigste Devise, "man darf die Betroffenen mit ihren Sorgen und Problemen nicht etwa an den Pranger stellen."
Bürgermeister Rolf Sonnenberger ist bewusst, welchen wertvollen Beitrag die Sozialarbeiterin für die Kinder und Jugendlichen in der Region leistet. Er schlug sie in diesem Jahr für die MZ-Aktion "Helfer mit Herz" vor. Doch die fast schon lapidare Reaktion der engagierten jungen Frau lautet nur: "Ich denke, dass man sowieso nur eine echte Bindung zu den Jugendlichen herstellen kann, wenn man mit Herz dabei ist." Freilich fühle sie sich ausgezeichnet und geehrt mit so einem öffentlichen Dankeschön, trotzdem sagt sie: "Noch schöner ist es aber, wenn einer der Jugendlichen unter vier Augen ,danke' sagt."
Publicity ist eigentlich überhaupt nicht ihr Ding, sie hat aber schon längst erkannt, dass sie, um der eigentlichen Sache zu dienen, manchmal ein notwendiges Übel ist.
In Zörbig betreut die junge Frau gemeinsam mit Susanne Sterzik, der Jugendbeauftragten der Stadt, über 100 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 16 und 32 Jahren. Anlaufpunkt ist längst der Jugendklub in der Radegaster Straße. "Anfangs musste ich viel raus", sagt sie. Das ist nun nicht mehr nötig, denn die betreuten jungen Menschen finden immer wieder den Weg in den Klub.
Vereinzelte Gruppen, die sich früher noch an verschiedenen Stellen der Stadt getrennt trafen und zu meist gegen ähnliche Probleme kämpften, haben sich dort kennen und akzeptieren gelernt. "Es ist entscheidend, ein gesundes Selbstbewusstsein bei den Betroffenen zu fördern", statuiert sie. Nur dann sind sie bald bereit, ihre Meinung zu sagen und zu vertreten. "Sie müssen in der Lage sein, ihre Gefühle und Ideen zu vermitteln", so Michaela Keßler.
Der Jugendklub in Zörbig bietet als Anlaufpunkt natürlich verschiedene Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Billard- und auch der Kicker-Tisch zum Beispiel stehen hoch im Kurs. Doch die Angebote gehen weit über Spiel und Spaß hinaus. "Wir helfen zum Beispiel direkt bei Bewerbungen", berichtet sie, "oder veranstalten auch mal Rollenspiele als Vorbereitung auf Einstellungsgespräche." Dies beinhaltet manchmal sogar detailierte Outfitberatungen. "Am besten finde ich es immer, wenn die jungen Menschen sich freiwillig gegenseitig helfen", lächelt sie.
Einigen der Jugendlichen bieten die beiden engagierten Frauen im Klub sogar einen für sie bisher oft ungewohnten geregelten Tagesablauf. "Wir beginnen mit einem gemeinsamen Frühstück, besprechen Tagespläne und erledigen dann zum Teil gemeinsam wichtige Behördengänge oder andere Wege", so Frau Keßler.
Wirklich Abschalten kann Michaela Keßler kaum. Trotzdem betont sie, dass ihre eigenen Kinder nach der Arbeit natürlich die erste Geige spielen. Sie ist selbst dreifache allein erziehende Mutter und könnte den Spagat zwischen Familie und Sozialarbeit allein kaum meistern. Insbesondere Mutter Christine und die bereits sehr selbstständige 17-jährige Tochter Alexandra bieten ihr einen entscheidenden Rückhalt. "Ohne die beiden wäre es kaum möglich", sagt sie.
Denn während die neunjährige Alina-Marie und die erst sechsjährige Lara-Danielle von ihr umsorgt werden, klingelt auch schon mal das Handy. "Alle unsere Schützlinge haben die Möglichkeit, mich Tag und Nacht zu erreichen", sagt sie. Kein einziger aber habe diese Tatsache bisher böswillig ausgenutzt. Wenn das Telefon am späten Nachmittag oder abends klingelt, gelte es tatsächlich ein ernstes Problem zu lösen.
Für irgendein Hobby bleibt da gar keine Zeit. Michaela Keßler möchte trotzdem keinen ihrer Schützlinge je missen. "Irgendwie ist das ja auch ein Geben und Nehmen", sagt sie. Die Jugendlichen erkennen recht schnell, wenn Frau Keßler mal nicht so gut drauf ist und sie vielleicht auch mal eigene Sorgen hat. "Dann sind die Jugendlichen auch schon mal für mich da und hören zu", sagt Michaela Keßler.