Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Mit Rummelplatz und Pferdekoppel
HOLZWEISSIG/MZ. - Die Loks stellt Hans-Joachim Arnold schon mal zur Probe auf die Schiene. Doch bis sich auf der Anlage hinter dem Haus in der Holzweißiger Wiesenstraße Züge, Signale und Schranken in Bewegung setzen, wird noch etwas Zeit vergehen. Die Gartenbahn des 64-Jährigen ist seit Jahren nicht mehr in Betrieb. "Ich könnte quäken, dass sie so da steht und nicht rollt", sagt der Holzweißiger. Wegen eines gesundheitlichen Handicaps musste er sein Hobby lange ruhen lassen. Jetzt geht es ihm besser und schon "kribbelt es wieder", wie er sagt.
Bahnhof, Sägewerk, Rummelplatz, Pferdekoppel, Brauerei und andere Gebäude der Modellbahnanlage haben Regen und Sonne, Schnee und Wind erstaunlich gut überstanden. Dennoch ist einiges in Ordnung zu bringen. 300 Meter Schienen müssen gesäubert werden, an einigen Stellen dringt die Ackerwinde durch, auch die Elektrik muss überprüft werden. Hans-Joachim Arnold wäre froh, wenn sich junge Leute finden würden, die sich für die Gartenbahn interessieren und mitmachen würden. Viel Hoffnung hat er aber nicht. "Sie spielen lieber Darts und Billard im Jugendklub und gucken nach den Mädchen." Mit der Modellbahn muss man aufgewachsen sein, um sich dafür zu begeistern, ist er sich sicher.
Bei Hans-Joachim Arnold war es der Vater, der sein Interesse an winzigen Motoren und detailgetreuen Modellen geweckt hat. "Von meinem Vater konnte ich mir vieles abgucken. Alles, was Elektrik war, hat er zu Hause selbst gemacht." In den 50er Jahren rollte im Elternhaus in der Holzweißiger Siedlungsstraße die erste Modellbahn mit der Spur H0. Die überließ er seinem Bruder und dessen Sohn.
Auf dem Grundstück in der Wiesenstraße, das Hans-Joachim Arnold 1978 gekauft hat, ist die erste Gartenbahn 1992 um den Seerosenteich gefahren. "Zu klein und zu langweilig" sei das gewesen. So machte er sich auf einer größeren Fläche ans Werk, fuhr mit einem selbst gebastelten Hänger am Rasentraktor Bauschutt und Rasenborde hin, füllte alles mit Kies auf und betonierte den Untergrund für die Schienen. "Damit es wie Schotter aussieht, habe ich noch Straßensplitt aufgetragen."
Als der erste Zug fuhr, mussten die Weichen zwar noch mit der Hand gestellt werden, aber alle, die mitgeholfen hatten, wurden zur Feier des Tages zum Frühschoppen eingeladen. Auch danach trafen sich die Männer immer mal wieder nach Feierabend an der Gartenbahn. Den größten Spaß gab es, wenn die Geräuschmodule eingeschaltet wurden. Damit konnten Kuh- und Schafherden imitiert werden, was nicht nur die Nachbarn irritierte, sondern auch die Frauen, denen die Männer zu Hause davon erzählten. Geglaubt haben sie es erst, als sie die blökenden Schafe selbst gesehen und gehört hatten.
Mit der Gartenbahn hat sich Hans-Joachim Arnold nach der Wende einen großen Traum erfüllt. Er erinnert sich genau, wie er in Leipzig den ersten Katalog von LGB (Lehmann-Groß-Bahn) in der Hand gehalten und sich im ersten neu eröffneten Modellbau-Laden in Bitterfeld Loks und Waggons angesehen hat. "Die Geschenkpackung im Schaufenster war ein Traum." Dieses Paket mit Lok, zwei Waggons, vier Figuren, Schienenkreis und Trafo war der Anfang. Dieselloks, Wagen, Schienen und Weichen kamen dazu.
Für den gelernten Industriemaler, der im Industrie- und Kraftwerksrohrleitungsbau (IKR) Fahrzeuge, Container für die Drushba-Trasse und anderes lackiert hat, war es kein Problem, Teile für die Modellanlage nach eigenen Vorstellungen umzugestalten. Im Betrieb mussten die Transparente zu DDR-Zeiten schließlich auch ständig übermalt werden, aus "10 Prozent mehr Arbeitsproduktivität" zum 1. Mai wurde "Ruhm und Ehre den heldenhaften Befreiern" zum 8. Mai. Als er den Beruf wegen einer Allergie aufgeben musste, schulte er um, wurde Maschinist für Brikettierung und arbeitete wie sein Vater im Drei-Schicht-System in der Brikettfabrik. "Das kam mir zupass, denn dadurch hatte ich mehr Zeit zum Bauen am Grundstück." Wie beim Modellbau war es auch hier für ihn "der Reiz, etwas selber zu machen."
Auch das, was es fertig zu kaufen gibt, wird seiner Modellbahn-Landschaft angepasst. Vieles sieht genauso aus, wie er es in seiner Kindheit kennen gelernt hat. Der Verkaufswagen des Gemüsehändlers mit den Riefen an der Ladentheke entstand zum Beispiel nach dem Original, mit dem ein Krämer aus Delitzsch einst nach Holzweißig gekommen ist. Und an der Luftschaukel auf dem Rummelplatz fehlen auch nicht die drei Stufen, die die Kinder immer hinaufklettern mussten, um an die Schaukel zu kommen.