Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Faible für Historisches nimmt viel Zeit in Anspruch
JESSNITZ/MZ. - In der kleinen Werkstatt von Katrin Richter in Jeßnitz geht es noch um echte Handarbeit. Davon profitiert auch der Armlehnsessel aus der Gründerzeit, der schon rein optisch bessere Zeiten gesehen hat. Nur der schön geschnitzte Holzrahmen scheint weitgehendst unversehrt. Doch die nackten Sprungfedern aus Kupfer
werden von der Möbelpolstermeisterin bereits in Form gebracht. "Zu etwa einem Drittel schnürt man diese zusammen, damit sie noch etwas Spiel haben und man bequem sitzen kann", setzt die Fachfrau erklärend hinzu. Im Januar 1989 hat sie sich auf die eigenen Füße gestellt und das Haus auf dem Jeßnitzer Conradi-Platz übernommen, in dem schon seit über 100 Jahren dieses Handwerk zu Hause ist.
Um 1900 hatte darin Eduard Bergmann seine Sattlerwerkstatt, die dann 1930 Karl Arendt übernahm. Herbert Arendt eröffnete 1956 einen Tapeziermeisterbetrieb mit Sattlerei, Polsterei und Autopolsterei. Und 1989 zog Katrin Richter mit ihrer Familie ein. Sie bietet aber nicht nur Polstererarbeiten an, sondern auch das Nähen von Gardinen sowie Beratung, Bodenverlege- und Tapezierarbeiten - das ganze Programm der Raumausstattung. Und Lehrlinge bildet sie ebenfalls seit ein paar Jahren aus.
Groß geworden in Zörbig, aber auch in der Werkstatt des Vaters, der in Bobbau einen Sattler- und Polsterbetrieb besaß, sei wohl schon damals der Grundstein für den späteren Zweitberuf und den damit verbundenen Meisterabschluss gelegt worden. Denn: "Gelernt habe ich Kindergärtnerin. Viele Jahre habe ich auch in diesem Beruf gearbeitet", sagt die 50-Jährige, deren Ehemann Jürgen auch mit in der Firma tätig ist, nachdem der Elektro-Ingenieur mit der Wende arbeitslos geworden war. "Er kümmert sich überwiegend um die Renovierung", sagt Katrin Richter, die sich eher "nebenbei" mit der Aufarbeitung von historischen Möbeln befasst. "Dazu braucht man auch die entsprechende Muße, weil diese Arbeiten nicht nur viel Fingerspitzengefühl erfordern sondern auch sehr zeitaufwendig sind" - was beim Betrachten des Armlehnsessels deutlich wird. "Den habe ich von meinem Urgroßvater geerbt", sagt sie. Aus Erzählungen wisse sie, dass dieser einst im Besitz der Zörbiger Orgelbauerfamilie Rühlmann war und vom Urgroßvater Josef Wagner gekauft worden sei. Auch er war Tischler und habe unmittelbar hinter der Schlossmauer in Zörbig gewohnt.
Wenn der Name Zörbig fällt, dann bekommt Katrin Richter glänzende Augen. "Mein Herz hängt an meiner Geburtsstadt, wo ich bis zum Abschluss der zehnten Klasse wohnte. Und es verbindet mich noch immer viel mit ihr, auch weil ich dort noch viele Freunde habe", sagt sie und erzählt von den Besuchen mit der Schulklasse im Schloss, von denen sie immer sehr beeindruckt und fasziniert war - vor allem von den Führungen der Museumsleiterin Brigitta Weber, ihren Erklärungen und den geschichtlichen Vorträgen. Gern habe sie deshalb auch im Schloss geholfen. "Als Jugendliche haben wird dort die Heizkörper gestrichen", blickt sie zurück. Und nun arbeitet sie dann und wann Polstermöbel für das Heimatmuseum auf. 1998 war es die Polstergruppe aus dem "Wohnzimmer um 1870", dem folgen die Gründerzeit-Stühle des "Fürstenzimmers" (Foto), auf denen sich nicht nur bequem sitzen lässt, sondern auch optisch wieder ein echter Hingucker sind.
Man sieht den Stühlen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts auch nicht mehr an, dass es sich bei diesen um "Sparmöbel" handelt. Katrin Richter erklärt: "Zur Polsterung wurde nämlich nicht echtes Stroh oder Reh-Haar verwendet, sondern heuähnliche Pflanzenteile." Und sind einmal Holzgestelle, wie bei dem Zörbiger Wohnzimmer, aufzuarbeiten, ergänzt sie, dann habe Katrin Richter einen guten Draht zum ortsansässigen Tischlermeister Axel Bethlehem, der ebenfalls ein Faible für historische Möbel hat.