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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Eine Frau kümmert sich mit Arbeitshelm ums Tafelsilber

Von ANDREAS HÜBNER 21.10.2010, 17:12

FRIEDERSDORF/MZ. - An die Anfänge darf sie gar nicht erst denken. Bedächtiges Kopfschütteln. "Das war unglaublich", sagt sie. "Wir haben im Inneren der Kirche begonnen, denn die Wände waren schwarz." Teer, der wohl irgendwann einmal aufgebracht wurde, um vermutlich Feuchtigkeit draußen zu halten, drückte durch." Eva Geidel war vor fünf Jahren die Initiatorin zur Gründung des Förderkreises "Kirche Friedersdorf und ihre Inneneinrichtung" und ist seitdem 1. Vorsitzende. Über Gründe für ihr ehrenamtliches Engagement braucht sie nicht lange zu sinnieren. "Das einzige Tafelsilber, das Friedersdorf hat, ist die Kirche", so Frau Geidel, "und sein Tafelsilber muss man putzen".

Pouch habe ja den Turm, Mühlbeck den schönen Dorfplatz und die Friedersdorfer haben an sich nur die Kirche, meint Frau Geidel. Sie fühle sich halt irgendwie verantwortlich, denn "ich bin ein echtes Friedersdorfer Kind". Selbst wenn sie gemeinsam mit ihrem Wolfgang - das glückliche Ehepaar beging dieses Jahr sein goldenes Jubiläum - mal verreist ist, ziehe es sie recht schnell wieder zurück: "Je älter man wird, umso wichtiger wird einem Häuslichkeit", sagt sie.

Die 70-Jährige wurde als Helfer mit Herz vorgeschlagen und zwar genau von den Leuten, die ihr Engagement am besten beurteilen können. "Eine öffentliche Anerkennung der Leistungen von Frau Eva Geidel wird seitens unseres Förderkreises ausdrücklich unterstützt", heißt es in einem Schreiben an die MZ. In nur fünf Jahren wurde viel erreicht. Zunächst wurden die inneren Wände mühselig vom Teer befreit und mit Spezialputz beschichtet. Der komplette Vorraum unterhalb der Orgelempore wurde saniert, ebenso sämtliche Fußböden. Und unter anderem wurde auch der Taufengel restauriert. Der schwebt nun über dem Friedersdorfer Taufstein. "Die Bankreihen haben wir komplett sanieren können und mit Sitzheizung ausgestattet", zählt die Vorsitzende auf.

"Wir sind noch längst nicht fertig, aber bereits weite Wege gegangen", so Frau Geidel, die unermüdlich im Einsatz ist. Besonders ihre gute Zusammenarbeit mit dem Kreiskirchenrat und ihre vielfältigen Ideen hinsichtlich des gemeinsamen großen Ziels, die Kirche zu erhalten und darüber hinaus "zu einem geistigen und kulturellen Zentrum unseres Ortes zu machen", werden von ihren Mitstreitern geschätzt, so der stellvertretende Vorsitzende Eckhard Baum. Ihr Tatendrang sei nicht zu stoppen, sagt er, und so komme es auch vor, dass die motivierte Frau den Arbeitshelm selbst aufsetzt und "schon mal als Bauleiterin" agiert.

Eva Geidel ist gelernter Industriekaufmann und arbeitete schon vor der politischen Wende als Hauptbuchhalterin und Kaufmännische Direktorin bei der "Obst-, Gemüse- und Speisekartoffelverarbeitenden Industrie" in Raguhn, später "Libehna". Nach der Wende wurde sie zur Teilhaberin des Unternehmens. Sie erwarb 50 Prozent, welche sie bis zu ihrem Ruhestand hielt und dann an ihren Sohn Gunnar weitergab. Insbesondere dessen Töchter Anne und Aileen, die derzeit beide studieren, machen sie stolz.

Die Literatur hat es ihr angetan. "In meinem Haus gibt es keinen Raum ohne Bücher." Sie liest insbesondere Theodor Fontane mit größtem Vergnügen und andere Klassiker wie zum Beispiel Goethe. "Novellen von Wilhelm Hauff sind auch richtig gut." Die Sprachgewaltigkeit der Klassiker fasziniere sie. "Viele schöne Worte werden heute gar nicht mehr benutzt", sagt sie und meint, dass sich ja die Themen nicht großartig verändert haben. "Die Liebe bleibt ja gleich", so Frau Geidel. Doch während in der klassischen Literatur alles in elegante Worte gefasst wird, "ist dasselbe in den modernen Schnulzen, meist nur mit der heißen Nadel gestrickt".

Im Übrigen ist sie auch bei der Organisation von Konzerten in der Kirche meist federführend. Bisher konnten in der Kirche 41 gegeben werden. Schon zwei Jahre vor der Gründung des Kreises hatte Eva Geidel auf eigene Faust begonnen, für die Restaurierung der Orgel zu sammeln. Auch dieses Projekt befindet sich derzeit sozusagen auf der Ziellinie. Und so kann man nur vermuten, dass die ersten Töne des 42. Konzerts für Frau Geidel wie eine Erlösung daher kommen werden, denn die dann vollständig hergerichtete Rühlmannorgel wird am 11. Dezember im Mittelpunkt stehen.