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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Blondine mit Wuschelmähne

Von Klaus Seehafer 24.02.2012, 17:31

Wolfen/MZ. - Für die Schauspielerin Karin Düwel bedeutete der DEFA-Film "Sabine Wulff" von 1978 unter der Regie von Erwin Stranka den großen Durchbruch. Sie wurde 1980 beim 1. Nationalen Spielfilmfestival der DDR als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet und konnte sich seither ihren Platz als geachtete Theater- und Kinoschauspielerin aufbauen. Am Donnerstag war sie im Industrie- und Filmmuseum zu Gast, wo ihr erster Film gezeigt wurde. Und den Reaktionen des Publikums war anzumerken, dass Düwel ihm in allen Lebensaltern vertraut war: als 18-jährige widerborstige Sabine ebenso wie als Lebenspartnerin des halleschen Kommissars Schneider in "Polizei 110".

Dabei hatte es zu Anfang ihrer Karriere gar nicht nach Erfolg ausgesehen. "Guck dir doch die dicke Blonde an" hieß es immer wieder abwertend - und schon war sie erneut abgelehnt. Und als man sie die Sabine Wulff spielen ließ, "da haben sie mir während der Arbeit nüscht zu essen gegeben". Wie viel Koketterie der einst wie heute attraktiven Blondine mit Wuschelmähne und Schmollmund mitschwingt, ist schwer zu sagen. Jedenfalls gelang ihr (mit Ausnahme des ersten Drehtages, bei der ihr in Gegenwart der bewunderten Jutta Wachowiak alles misslang) einfach alles: Sie konnte die einsame junge Frau ebenso spielen, wie in mehreren Bettszenen die leidenschaftliche Geliebte mehrerer Männer. Überzeugend gab sie die gefährdete und unstete Arbeitslose nach ihrem Aufenthalt im Jugendwerkhof und die konzentrierte Schuhnäherin inmitten ihrer feindlich gesonnenen Brigade. Und ihr scheinbar noch so glattes Kindsgesicht konnte Frust und Wut und Verletzlichkeit gleichermaßen widerspiegeln.

Den Nachgeborenen (oder auch den Westdeutschen!) mochte mancherlei verwundern, was im DDR-Film möglich war. Dass da zum Beispiel ganz offen ausgesprochen wird, wie eine Bestarbeiterin ihren Status nur durch erschwindelte Zahlen erreicht hat. Oder dass die Heldin leidenschaftliche Beziehungen inklusive Nacktszenen gleich mit mehreren Männern unterhält. Oder dass sie sich mit der Werksleitung anlegt, weil sie in den kalten Werksräumen die Reparatur der defekten Heizung einfordert. Oder dass man wegen des Umzugs in die wärmeren Räume natürlich Zeit verliert und deshalb die Norm nicht einhalten kann.

Allein die Nennung der Institution Jugendwerkhof hat die Zensur schon kräftig verärgert. Es gab sie, aber musste sie darum erwähnt werden? Die Jugendwerkhöfe waren spezielle Heime für Jugendliche von vierzehn bis achtzehn Jahren, die als schwer erziehbar galten und dort nach den Maximen der Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit zwangserzogen wurden. Bei Sabine Wulff muss das entweder geklappt haben, weil sie den Betrug an ihrer Arbeitsstelle nicht leiden konnte - oder sie war schon vorher eine moralisch starke Person, die nur nicht ins gewünschte Klischee passte.

"Leider haben sie uns später sämtliche Szenen, die im Jugendwerkhof spielten, herausgeschnitten. Kaum einmal, dass ein Ansatz, ein Übergang, drin geblieben ist." Nur die Tatsache, von wo aus die Geschichte ihren Ausgangspunkt genommen hatte, war nicht zu unterdrücken. Und dass jemand, der einmal dort gewesen war, wie ein Paria behandelt wurde, auch nicht. Außerdem lag dem Film ein Roman des Magdeburger Autors Heinz Kruschel zugrunde ("Gesucht wird die freundliche Welt", 1976), da war völliges Verbiegen der Story nicht möglich. Am Ende des Films gibt es eine fulminante Szene, in der die enttäuschte Sabine alle Bilder ihres Künstlerfreundes zerschneidet und auch noch das Geschirr zerdeppert. Eigenartig, wie häufig Gewalt gegen Sachen und Menschen im DDR-Film eine Rolle spielte. Man denke nur an "Spur der Steine", wo die Brigade Balla beim Besorgen von fehlendem Material nicht gerade zimperlich ist. Beim Wiedersehen vieler Filme empfindet man heute, dass man damals in Bilder gesetzt hatte, was mit Worten nicht zu sagen war: die Wut gegen die Verhältnisse, die Ohnmacht gegen das System.

Befragt, was sie eigentlich vorzieht, die Bühne oder den Film, antwortete Karin Düwel freimütig: "Anders als wohl die meisten meiner Kollegen den Film. Da bin ich zwar drei, vier Wochen weg, aber dann konnte ich wieder für meine Kinder da sein und hatte auch für eine Weile genug Geld."