Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: 50 Jahre alte Fliesen zählen nicht in neuer Rechnung
WOLFEN/MZ. - Gudrun Rüsting ist sauer. Ab 1. Januar 2012 werden ihr monatlich etwa 50 Euro in der ohnehin dünnen Geldbörse fehlen. Vor ein paar Tagen steckte ein Schreiben im Briefkasten, das eine Mieterhöhung ankündigte. Und nicht nur bei ihr. Die Wohnungsgenossenschaft Wolfen (WGW) - sie verfügt über 6 200 Wohnungen - sowie die Wohnungs- und Baugesellschaft Wolfen mbH (WBG) - sie betreut 4 100 Wohnungen - haben ihren Mietern, zumindest all jenen, wo die gesetzlichen Richtlinien gegeben waren, so heißt es, die neuen Preise mitgeteilt.
Seit mehr als acht Jahren lebt die 62-Jährige im Erich-Weinert-Ring. 58 Quadratmeter misst ihre Wohnung. Keine gehobene Ausstattung. Elektrik und Bad wurden irgendwann einmal gemacht. Das war's, sagt sie. Hausflur, Keller, Türen - nichts Neues. Wie eh und je. Ihr Sohn, der in Wittenberg zu Hause ist, zahlt fünf Euro pro Quadratmeter. Laminatfußboden, Jalousien, davon kann Gudrun Rüsting nur träumen. Ihr Quadratmeterpreis beträgt 5,15 Euro. "Das ärgert mich", meint sie. "So toll ist es hier auch nicht. Wenn man zu Fuß in der Gegend unterwegs ist, dann muss man aufpassen - fällt von Loch zu Loch." Wen wundert's. Die Fußwege sollen noch aus dem Jahr 1962 stammen, berichtet sie.
Urlaubszeit im Mauerwerk
Günter Koblitz und seine Frau Marlies erinnern sich sogar noch an das Jahr zuvor. An 1961. Er habe die Wohnungen damals mit aufgebaut. "Eigenleistungen mussten wir damals erbringen." Ob Schachtarbeiten oder Zement ausladen - der Urlaub von zwei Jahren steckt im Mauerwerk des Erich-Weinert-Rings. Dort ist seit 1961 auch ihr Zuhause. Seit 1957 sind sie Genossenschaftsmitglied. "Wir würden ja auch mehr bezahlen, aber doch nicht so viel", sagen sie. "Es wird wohl soweit kommen, dass wir noch Wohngeld beantragen müssen. Ist der Mietspiegel ein Gummi-Paragraph?", fragen Günter und Marlies Koblitz. Getan habe sich auch nach der Wende nicht viel. Außen wurde saniert, Heizkörper und neue Fenster eingebaut. Viel mehr sei nicht passiert. Ihre Badewanne steht immer noch frei, die braunen Fliesen gehören bereits seit dem Einzug vor 50 Jahren zum Inventar.
"Wo haben wir mehr Lebensqualität?", fragen sie und erhoffen sich Antwort von ihren Wohnungsunternehmen. "Wir haben eine Aufgabe, nämlich bezahlbare Wohnungen zu erhalten", teilt WBG-Geschäftsführer Jürgen Voigt mit. "Der Gesetzgeber gibt die Möglichkeit, dass wir das ordentlich machen. Der Vermieter hat das Recht, binnen dreier Jahre die Miete um 20 Prozent zu erhöhen", erläutert Voigt. "1990 haben wir die Wohnungen übernommen und hatten keinerlei Rücklagen", informiert Sabine Barth, WGW-Vorstand. Seit 1993 zahlen beide Unternehmen große Anteile an Altschulden ab.
Das Altschuldenvolumen der Genossenschaft betrage beispielsweise allein 16 Millionen Euro. Seit 2007 seien die Grundmieten der WBG nicht erhöht worden. Man bewege sich innerhalb des Mietspiegels. Man habe nun die Mieterhöhungsmöglichkeit genutzt, damit die Unternehmen wirtschaftlich stabil arbeiten. Drei Jahre können die Mieter davon ausgehen, dass es zu keiner weiteren Mieterhöhung kommen wird, heißt es. Für Voigt und Barth ist es kaum vorstellbar, dass es in der Region Mieten gibt, die sich unter ihrem Quadratmeterpreis befinden. Was den Zustand der Wohnungen angeht, äußern Voigt und Barth übereinstimmend, dass die Innensanierung laut Mietspiegel nicht bewertet worden ist. Natürlich sei man gern zu Gesprächen mit den Mietern bereit. "Wir nehmen uns für jeden Zeit."
"Man ist als Vermieter nicht verpflichtet, die Miete zu erhöhen, bloß weil es einen Mietspiegel gibt", sagt Hannelore Paasch, Geschäftsführerin vom Deutschen Mieterbund Dessau und Umgebung. Es handele sich hierbei lediglich um eine anerkannte statistische Erhebung. "Kein Muss, sondern eben ein Kann." Die Wohnungen müssen im Mietspiegel entsprechend des Sanierungsgrades eingeordnet sein, erläutert Hannelore Paasch weiter. Wenn das nicht übereinstimme, werde von Fall zu Fall entschieden. Das sollte im Vorfeld durch ein Gespräch mit dem jeweiligen Vermieter geklärt werden, bevor die Mieterhöhung wirksam wird. "Es dürfte niemand an Leerstand interessiert sein", ist die Frau vom Mieterbund überzeugt. Der Erhöhung müsse innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich zugestimmt werden. Verweigert der Mieter seine Unterschrift, kann der Vermieter Klage einreichen. Dann entscheidet das Gericht.
Für Norbert Rückriemen, Vorstand der Wohnstättengenossenschaft Bitterfeld-Wolfen (etwa 1 450 Wohnungen), heißt es: "Wir verfolgen eine Mietentwicklung nach der Politik der Genossenschaft." Das schließe eine Mietsteigerung nicht aus. Sie erfolge aber mit Bedacht. "Wir sind bemüht, sanierte Wohnungen zu einem Quadratmeterpreis bis zu fünf Euro anzubieten. Aber er betont auch: Wohnraum verteuert sich nicht zuletzt durch die Gesetzgebung.
Keine Steigerung bis 2013
Bei der Neuen Bitterfelder Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (etwa 3 500 Wohnungen) werden die Mieten laufend dem Sanierungsstand angepasst, informiert Marion Kostow über das Vorgehen in ihrem Unternehmen. Für Günter Vollweider, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsbaugesellschaft Bitterfeld (440 Wohnungen im Bestand), steht fest: "Bei uns wird es bis 2013 keine Mieterhöhungen geben. Bei den Leerständen, die wir haben, ist es fragwürdig, so etwas zu veranlassen. Sie sehen doch selbst, wo Gardinen hängen und wo nicht. Oder?"