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Altlasten im Bitterfelder Boden Altlasten im Bitterfelder Boden: Bohrer holt verseuchte Erde aus neun Metern Tiefe

Von Frank Czerwonn 26.07.2018, 05:00
Der Bohrer arbeitet sich bis zu neun Metern Tiefe in die Erde.
Der Bohrer arbeitet sich bis zu neun Metern Tiefe in die Erde. André Kehrer

Bitterfeld - 14 Meter hoch ragt der Koloss in den Himmel. Passanten bleiben stehen, Autos fahren langsamer. Kein Zweifel: Der Großlochbohrer auf dem Eckgrundstück am Bitterfelder Teichwall weckt die Neugier.

Die Riesenmaschine wirkt überdimensioniert für die Mini-Fläche, auf der sie Tag für Tag im Einsatz ist. Allerdings hat der Bohrer eine schwierige Aufgabe: Mit seiner Hilfe wird auf dem Gelände der früheren chemischen Reinigung das verseuchte Erdreich komplett ausgetauscht. Lautstark arbeitet sich der Bohrer vor - bis in eine Tiefe von neun Metern.

Lösungsmittel wurden bis Anfang der 90er in der Kanalisation entsorgt

Bis Anfang der 90er Jahre war hier die Reintex Reinigung in Betrieb. In der Firma sind massenhaft Lösungs- und Reinigungsmittel verwendet worden. Offizielle Bezeichnung: leichtflüchtige chloride Kohlenwasserstoffe.

„Die lösen Fett und Schmutz, werden aber beispielsweise auch bei der Herstellung von entkoffeiniertem Kaffee verwendet“, umreißt Wito Reinhardt die Einsatzmöglichkeiten. Er ist Geschäftsführer der Mull & Partner Ingenieurgesellschaft, die das technologische Szenario für die Dekontamination des Bitterfelder Grundstücks erstellt hat.

„Diese Lösungsmittel hat man nach der Benutzung einfach in die Kanalisation gegeben“, schildert Reinhard. „Allerdings durchdringen sie poröses Material doppelt so gut wie Wasser, sind schwer abbaubar und verursachen Langzeitschäden.“ Und so hat die Landesanstalt für Altlastenfreistellung (LAF) vor fünf Jahren die Sanierung am Teichwall angestoßen. Viele Hindernisse waren zu überwinden.

Bis zwölf Meter tief habe man im Jahr 2014 gebohrt, um das Ausmaß der Kontamination zu bestimmen

„Auf dem Grundstück stand ein denkmalgeschütztes, unbewohntes Haus“, erinnert sich die stellvertretende LAF-Geschäftsführerin Evelyn Schaffranka. Mit Landkreis und Stadt musste man ein Konstrukt finden, damit das Haus abgerissen und die Stadt die Fläche übernehmen konnte.

„Für die ersten Probebohrungen sind wir noch durch das Büro der benachbarten Anwaltskanzlei geklettert, um auf den Innenhof der Reinigung zu kommen“, so Reinhardt. Bis zwölf Meter tief habe man im Jahr 2014 gebohrt, um das Ausmaß der Kontamination zu bestimmen. Das Ergebnis: Die Verseuchung zum Beispiel mit Trichlorethen und Tetrachlorethen reicht weit ins Erdreich, ist aber mit rund 100 Quadratmetern vergleichsweise kleinräumig.

Allerdings wird das Grundwasser kontaminiert und es besteht die Gefahr, dass die Verseuchung die Leine erreicht. „Deshalb musste saniert werden.“ Wegen der Innenstadtlage, angrenzender Wohnhäuser, des vorbeiführenden Teichwalls, der auf Grund des Schulbusverkehrs nicht gesperrt werden kann, und der kleinen Fläche kam eine offene Baugrube nicht in Frage. So entschied man sich für das Großlochbohrverfahren - durchgeführt von der Strabag Umwelttechnik.

Eine Luftreinigungsanlage saugt gasförmige Emissionen ab

Eine neun Meter tiefe Bohrpfahlwand rund um das Grundstück soll sichern, dass nichts ins Rutschen kommt. Zudem wurde auf der gegenüberliegenden Grünfläche neben Baucontainern auch eine Grundwasserreinigungsanlage installiert.

„Hier wird das abgepumpte Grundwasser aufbereitet, bevor es in die Kanalisation gegeben wird“, erklärt Joachim Hübner, technischer Gruppenleiter für Altlastensanierung bei der Strabag. Auch die Luft wird ständig überwacht. Eine Nebelkanone bindet Schadstoffe zusätzlich, eine Luftreinigungsanlage saugt gasförmige Emissionen an den Containern ab. Trotzdem tragen die Arbeiter, die stundenlang auf dem Baufeld sind, Schutzmasken. Sicher ist sicher.

Kontaminierte Erde wird in Deckelcontainer verladen und regelmäßig abtransportiert.

Unterdessen setzt der Bohrer zu einem neuen Loch an. Stück für Stück gräbt er sich mit einem Hohlzylinder voran ins Erdreich. „An seiner Spitze ist eine Art Eimer, der am Boden Zähne hat. Damit schabt er ähnlich wie eine Reibe über den Boden“, erklärt Bauleiter Christoph Romeis.

„Die abgeschabte Erde landet im Eimer.“ Ist der voll, geht es nach oben. Die so ausgebohrte kontaminierte Erde wird in flüssigkeits- und gasdichte Deckelcontainer verladen und regelmäßig abtransportiert. Neun bis zehn Mal muss der Bohrer mit dem Hohleimer bei einem einzigen Bohrloch hinunter.

Bohrung neben Bohrung gesetzt - bis zu sechs am Tag, 126 insgesamt

Der vorrückende Hohlzylinder verhindert, dass Erde nachrutscht. Ist die alte Erde raus, wird die leere Hülle schichtweise neu verfüllt mit Ton, Kies, Schotter. So wird Bohrung neben Bohrung gesetzt - bis zu sechs am Tag, 126 insgesamt.

Eine logistische Herausforderung auf dem winzigen Baufeld. Denn Bohrer, Radlader, Container und Laster dürfen sich nicht in die Quere kommen. „Das ist wie beim Spiel Tetris - alles muss genau ineinander passen“, zieht Romeis lachend einen anschaulichen Vergleich. Auch wenn die eigentlichen Bohrungen noch in dieser Woche abgeschlossen sind - die Baustelle wird bis Ende August bestehen bleiben. (mz)