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Skandalstück Skandalstück: Das Fräulein von Bernburg

Von bernhard spring 24.04.2013, 08:18

bernburg/MZ - „Jetzt denke ich nur und immer an Fräulein von Bernburg“, schwärmt Manuela vor dem Einschlafen. „Ich glaube, sie kann furchtbar lieb sein.“ Mit fünf weiteren Mädchen liegt sie in jenem Schlafsaal des Potsdamer Internats, in dem Frau von Bernburg Aufsicht hat. Und diese Erzieherin pflegt ihre Schützlinge des Abends auf den Mund zu küssen. Auch lässt sie die Tür zu ihrem benachbarten Schlafzimmer offen – „Stell sie dir bloß mal nackt vor“, raunt Lilli Manuela angetan zu.

Mit dem Theaterstück „Gestern und heute“ (1930) sorgte die Schriftstellerin Christa Winsloe (1888–1944) für einen handfesten Skandal auf den Bühnen der Weimarer Republik. Zum ersten Mal in der deutschen Literatur wurde weibliche Liebe vorurteilsfrei beschrieben. Stand männliche Liebe damals unter Strafe, wurde lesbische Liebe vom Gesetz überhaupt nicht berücksichtigt: In der deutschen Gesellschaft war sie tabuisiert und offiziell nicht existent.

Doch nicht nur die skandalöse Liebe der Schülerin Manuela von Meinhardis zu ihrer Lehrerin Elisabeth von Bernburg erregte öffentliche Entrüstung. Winsloe schildert in ihrem Schauspiel unverkennbar das Potsdamer Augusta-Stift, das sie selbst als Halbwaise besucht hat und das in der Kaiserzeit als Kaderschmiede des alten, preußischen Adels galt. Um 1930 überraschte die Theaterbesucher nun, dass in dem Internat ein brutales und antidemokratisches System den Zusammenbruch der Monarchie überdauert hatte. „Die Kinder werden fest in der Treue zu unserem allerhöchsten Herrn erzogen“, erklärt die Oberin im Stück und meint damit den exilierten Kaiser Wilhelm II. „Wir warten, bis unsere Zeit wieder kommt.“

Aus dem erzreaktionären Adelsgefilde ragt das Fräulein von Bernburg positiv heraus. Hinter ihrem strengen Auftreten verbirgt sich eine große Zuneigung für die Kinder. Mit ruhiger Hand versucht sie, deren Schicksal zu verbessern. Manuela, die nach dem Tod der Mutter in der neuen Umgebung von Heimweh geplagt wird, hat es der Dame besonders angetan. Doch genau diese mütterliche Fürsorge weckt in dem Mädchen intensivere Gefühle. Als sie sich nach einer Schulaufführung einen Schwips antrinkt, proklamiert sie offen ihre Liebe zu dem Fräulein – und provoziert den Skandal. Da ihr fortan Einzelunterricht droht, um ihre „krankhafte“ Liebe zu kurieren, stürzt sich Manuela genau in dem Moment aus dem Fenster, als Fräulein von Bernburg vor der Oberin energisch für eine mildere Behandlung des Mädchens kämpft.

Natürlich wurde nach der Premiere des Stücks auch über die darin verwendeten Adelsnamen spekuliert. Bezog sich Winsloe auf eine Dame aus dem doch ausgestorbenen Hause Anhalt-Bernburg? Die Autorin enthielt sich der klaren Worte und erklärte lediglich, dass sie die Geschichte einer Klassenkameradin nachgeschrieben habe.

Die Winsloe galt in der Weimarer Republik als Skandalnudel. Als Tochter eines schottischen Offiziers und einer Deutschen wuchs sie in Baden auf, heiratete einen ungarischen Baron, studierte Bildhauerkunst und spezialisierte sich auf die Darstellung der Tiere, von denen sie sich bis zu 50 Stück in ihrem Münchner Haus hielt. Zu ihren Bekannten gehörten Joachim Ringelnatz, Erich Mühsam sowie Erika und Klaus Mann.

Das Stück „Gestern und heute“ wurde 1931 unter dem Titel „Mädchen in Uniform“ verfilmt und erschien im Jahr darauf als Roman, der Winsloe international bekannt machte. Seither führte sie ein unstetes Wanderleben zwischen den USA und Europa, bis sie 1944 in Frankreich mit ihrer Lebensgefährtin von marodierenden Kriminellen erschossen wurde.

1959 wurde „Mädchen in Uniform“ ein zweites Mal abgedreht, mit Lilli Palmer und Romy Schneider. Da unlängst die Romanvorlage erneut verlegt wurde, eine erste Biografie zu Winsloe erschien und derzeit ihre Werke in Berlin ausgestellt werden, scheint eine Wiederentdeckung Christa Winsloes im vollen Gange zu sein. Vielleicht lässt sich auch das Geheimnis um das Fräulein von Bernburg lüften.