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Politik Politik: "Für Glatteis und Schnee gibt's die SPD"

Von torsten adam 25.10.2013, 19:49

bernburg/MZ - Das Hinterzimmer der Bernburger Gaststätte „Alte Molkerei“ wirkt volkstümlich: grüne Auslegware, ein langer Tisch mit Kirschbaum-Furnier, auf dem Kunstrosensträuße stehen. Die Uhr an der orangefarbenen Wand - eingerahmt von Impressionen aus der Toskana - ist zehn vor Zwölf stehengeblieben. Das Dutzend SPD-Mitglieder, das bei Bier, Saft und Wasser an diesem Donnerstagabend locker miteinander plaudert, ist indes auf der Höhe der Zeit. Irgendwann in den nächsten Wochen werden auch die Bernburger Sozialdemokraten mit darüber abstimmen, ob Deutschland in den nächsten vier Jahren von einer Großen Koalition regiert wird.

Der Ortsverein, gleich nach dem Mauerfall im Dezember 1989 aus der Taufe gehoben, ist nach einem Aderlass wieder im Aufwind. „Fünf neue Mitglieder sind in den vergangenen sechs Monaten eingetreten, sogar ein paar junge Leute“, frohlockt Vorsitzender Friedel Meinecke. 45 Leute bilden damit jetzt in der Saalestadt die Basis von Deutschlands ältester Volkspartei. Die Zeiten waren freilich schon besser. „Wir hatten mal über 100 Mitglieder. Schröders Agenda war eine Zäsur für uns, da gab es eine Austrittswelle“, erzählt der 69-jährige Biendorfer, der als Landtagsabgeordneter schon selbst vier Jahre lang in die „große Politik“ hineinschnuppern durfte. Und der die missmutige Stimmung an der Basis nach der jüngsten Wahlschlappe mit einem ironischen Satz für das ARD-Hauptstadtstudio wiedergab: „Wenn die Sonne lacht, hat’s die CDU gemacht, für Glatteis und Schnee gibt’s die SPD.“

Wie er hält auch Rüdiger Erben, Gastredner an diesem Abend, das Wahlergebnis vom 22. September für ein Paradoxum: „Die Mehrheit hat für Merkel gestimmt, obwohl sie gar nicht selbst zur Wahl stand. Aber eine Mehrheit will laut jüngsten Umfragen auch SPD-Forderungen wie den Mindestlohn, die Bürgerversicherung sowie die Eindämmung von Leiharbeit und Werkverträgen.“ Deshalb müsse die Partei kritisch hinterfragen, ob die Menschen zwar „unsere Inhalte wollten, aber nicht unseren Kanzlerkandidaten“, so der stellvertretende SPD-Landeschef. Klaus Gürtler, der in Bernburg eine Pension betreibt, bedauert jedoch, dass Peer Steinbrück nicht als Minister zur Verfügung stehen will: „Ich halte ihn für fähig und unverzichtbar.“

Linke Mehrheit ein „Phantom“

Die Regierungsbeteiligung sieht Erben inzwischen - gegen den eigenen Wunsch - als alternativlos, nachdem sich die Grünen „verhältnismäßig früh vom Acker“ gemacht haben. Denn die rot-rot-grüne Mehrheit von fünf Abgeordneten im Bundestag sei nur ein Phantom. „Eher lassen sich einige Linke die Hand abhacken, als einen SPD-Kanzler zu wählen“, ist er überzeugt. Für 2017 sieht Erben eine Zusammenarbeit mit den Linken auf Bundesebene jedoch als ernsthafte Option. Entsprechende Gespräche sollten so bald wie möglich aufgenommen werden. Nur dürfe sich die SPD dann ein halbes Jahr vor der Wahl von Union und FDP in TV-Talkshows nicht wieder in die „Kommunistenfalle“ locken lassen. Auch Friedel Meinecke hält eine Einigung des Lagers „links von der Mitte“ perspektivisch für nötig.

Zunächst gilt es jedoch, mit CDU/CSU eine stabile Regierung zu bilden. „Wir müssen mit jeder demokratischen Kraft zusammenarbeiten können, also auch mit der Union“, meint Daniel Peisker-Teichmann. Der 31-jährige Diplom-Biochemiker aus Peißen ist erst vor einem halben Jahr in seine Heimat zurückgekehrt, ist in einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus aufgewachsen und will sich nun vor Ort politisch engagieren.

Taktisch clever

Die Erwartungen der Bernburger Basis an das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen sind hoch. Dass darüber alle SPD-Mitglieder per Brief abstimmen werden, hält Erben für eine „geniale Idee“, von Parteichef Sigmar Gabriel. So wisse die Union gleich, dass der Kompromiss auch die SPD-Basis überzeugen muss, entsprechende Zugeständnisse notwendig sind. Ohne die „Trophäe Mindestlohn“ werde die Abstimmung scheitern, glaubt er. Für wen aber soll der Stundenlohn von 8,50 Euro gelten? Auch für Ungelernte, meint ein Genosse. Erben hält ihm entgegen, dass eine Altersgrenze festgelegt werden müsse, sonst könnten Schulabgänger nicht mehr motiviert werden, eine Berufsausbildung aufzunehmen. Peisker-Teichmann betrachtet den Mindestlohn als gutes Instrument, um die sich in den vergangenen Jahren nach dem Motto „Geiz ist geil“ drehende Abwärtsspirale zu stoppen. Klaus Gürtler ist von diesem Modell nicht restlos überzeugt. Dies könnte deutschen Arbeitnehmern Jobs kosten, wenn Arbeitgeber ihn durch die Einstellung von Ausländern umgehen, gibt er zu bedenken.

Rentenangleichung und bezahlbarer Strom sind weitere Themen, die an diesem Abend diskutiert werden - zunächst zwei Stunden gemeinsam am Tisch, dann etwas zwangloser in kleinerer Runde im Stehen. Die Entschärfung einer Weltkriegsbombe in der Magdeburger Innenstadt ist für Bernburgs Genossen ein glücklicher Umstand. Rüdiger Erben hat viel Zeit mitgebracht. In seine innerhalb des Evakuierungsgürtels liegende Wohnung darf er erst spät abends zurückkehren.