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Odachlosigkeit in Bernburg Odachlosigkeit in Bernburg: "Die Straße frisst dich auf"

Von Franz Ruch 11.09.2019, 09:58
Robert Kramer sitzt vor der Obdachlosenunterkunft an der Auguststraße in Bernburg.
Robert Kramer sitzt vor der Obdachlosenunterkunft an der Auguststraße in Bernburg. Engelbert Pülicher

Bernburg - Für die einen ist es das Horrorszenario schlechthin, für die anderen ist es bittere Realität: der Verlust der eigenen Wohnung. Obdachlosigkeit ist ein Thema, mit dem sich die meisten erst beschäftigen, wenn es zu spät ist. Oft sind es Alkohol- oder Drogenprobleme, die Betroffene in diese Lage bringen. So auch bei Robert Kramer (Name geändert). Der 46-Jährige ist seit über 25 Jahren alkoholabhängig. In der Obdachlosenunterkunft in Bernburg wohnt er seit vier Wochen. Der MZ hat er seine Geschichte erzählt.

„Wenn du massiv trinkst, ist dir alles scheißegal.“

Der gebürtige Magdeburger ist nicht neu in der Stadt. Mit 27 habe er hier in der Salus-Klinik seine „ersten Male“ gehabt: das erste Mal Entgiftung, das erste Mal Langzeittherapie und den ersten Aufenthalt in einem Übergangswohnheim. Dass es für ihn seitdem trotzdem oft weiter bergab ging, wundert ihn nicht: „Wenn du massiv trinkst, ist dir alles scheißegal.“ So habe er zwischendurch auch mal eine Wohnung gehabt, das Geld für die Miete jedoch in Alkohol investiert und Schulden angehäuft, bis er die Wohnung wieder verloren hat.

So wie Robert Kramer geht es vielen. Nach aktuellen Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) waren im Laufe des Jahres 2017 etwa 650.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung. Am 11. September, dem „Tag der Wohnungslosen“, soll an die prekäre Situation der Betroffenen erinnert werden.

„Obdachlos ist nicht gleich obdachlos“, erklärt Margot Hayek-Hoffmann. Seit über 25 Jahren leitet sie das Sozialamt der Stadt und ist somit auch verantwortlich für die Anlaufstelle für Obdachlose in Bernburg: dem Sozialzentrum in der Auguststraße. Laut amtlicher Definition gelten all diejenigen als obdachlos, die keinen eigenen Mietvertrag haben, vom Verlust der Wohnung bedroht sind oder in unzumutbaren Verhältnissen leben.

„Mit 21 habe ich angefangen und dann bis 27 durchgetrunken.“

Für Robert Kramer gab es eine Zeit vor der Obdachlosigkeit. Wie in vielen anderen Fällen, begannen bei ihm die Probleme mit dem Verlust der Arbeitsstelle. Aufgewachsen ist er in der DDR und habe nach seiner Ausbildung zum Küchenhelfer auch fünf Jahre lang in einem Betrieb gearbeitet - bis dieser geschlossen wurde.

Nach mehreren Phasen Kurzarbeit habe er aus Frust und Langeweile mit dem Trinken begonnen. „Mit 21 habe ich angefangen und dann bis 27 durchgetrunken.“ Seitdem ist er immer mal wieder ohne Wohnung.

„Zusammengerechnet war ich in meinem Leben neun Jahre obdachlos“, erzählt er. Dabei sei er von Stadt zu Stadt durch ganz Deutschland gereist. Geschlafen habe er da, wo es ging - mal in Obdachlosenheimen und mal auf Parkbänken. „Im Sommer geht es noch, aber im Winter ist es die Hölle“, erzählt Kramer.

Das Schlimmste seien die mangelnden Möglichkeiten zur Pflege. Saubere Kleidung oder eine Dusche würden ohne Wohnung zum Luxus. Dazu kommt die Angst vor Überfällen: „Besonders in der Nacht muss man aufpassen. Die Straße frisst dich auf.“

„Ohne Hilfe würde es gegen den Baum laufen.“

Platz ist in der Bernburger Obdachlosenunterkunft für 24 Bewohner - vorrangig alleinstehende Männer. „Im Ausnahmefall nehmen wir auch Frauen oder kurzzeitig Kinder auf“, so die Leiterin. Allerdings nur, wenn die sogenannten Übergangswohnungen der Stadt oder Plätze im Frauenhaus belegt sind. Waren es vor 20 Jahren noch vermehrt ältere Alkoholiker, sei die Klientel heute deutlich jünger und zunehmend drogenabhängig. So sei die Entlassung aus Haft oder Therapie und die anschließende Perspektivlosigkeit einer der häufigsten Gründe, warum Betroffene die Unterkunft aufsuchen.

Aktuell ist Robert Kramer optimistisch gestimmt: „Im Prinzip läuft es bei mir. Mein Terminplan ist voll.“ Damit meint er die zahlreichen Amtswege, die er mehrmals wöchentlich leisten muss, sowohl, um die Kosten für die Unterbringung erstattet zu bekommen, als auch, um zusammen mit Sozialarbeitern und Suchtberatern seine weitere Zukunft zu planen.

„Ohne Hilfe würde es gegen den Baum laufen“, sagt er. Dementsprechend fällt auch sein Ratschlag für andere Betroffene aus: „Wer ins Obdachlosenheim kommt, soll nicht denken, er ist abgeschrieben. Man darf sich nur nur nicht hängen lassen.“ (mz)