MZ-Serie MZ-Serie: Von Bernburg nach Toronto
Bernnurg/Toronto/Mz - Der letzte Besuch in Bernburg liegt schon einige Jahre zurück. „Das war irgendwann nach der Wende“, erinnert sich Gerhard Dünnhaupt, der am Donnerstag seinen 86. Geburtstag in seiner Wahlheimat Toronto feiert. Vor mehr als 60 Jahren ist der gebürtige Bernburger in die größte Stadt Kanadas ausgewandert - und für immer geblieben.
An seine Kindheit erinnert er sich gerne: „Ich hatte eine Doppelheimat, da meine Großeltern in Bernburg und Köthen lebten.“ Oft sei er mit dem Fahrrad zu ihnen gefahren. Familiär verwurzelt ist er in beiden Städten. So stammt er mütterlicherseits aus einer alten Bernburger Familie. Schleusenmeister Bähr zählt unter anderem zu seinen Ahnen. Aus der Familie des Vaters ist vor allem Paul Dünnhaupt (1863-1938) bekannt. Die von ihm zu überregionaler Bedeutung geführte „Fürstliche Druckerei Köthen“ besteht bis heute erfolgreich als „Druckhaus Köthen“ fort. Auch Gerhards Vater arbeitete in der Bachstadt als Buchdrucker und Verleger. Und er selbst besuchte dort das Ludwigsgymnasium - bis er gegen Kriegsende eingezogen wurde und als Luftwaffenhelfer nach Ilberstedt kam. Den Krieg überstand er unbeschadet und entschied sich für eine Schriftsetzerlehre, die er mit der Gesellenprüfung am Bauhaus Dessau abschloss. 1949 folgte der Meistertitel an der Gutenbergschule in Leipzig. „Damals war ich mit meinen 22 Jahren der jüngste Buchdruckermeister Deutschlands“, sagt Dünnhaupt nicht ohne Stolz. Nicht zuletzt aufgrund dessen bekam er zahlreiche Job-Offerten aus dem Westen. „Auch Heiratsanträge waren darunter“, erzählt Dünnhaupt, der aber nie geheiratet hat. Letztlich nahm er ein Arbeitsangebot aus Gießen an und stieg zum Druckereileiter auf. „Die DDR wurde gegründet und ich konnte nicht mehr zurück“, so Dünnhaupt.
Der reine Zufall sei es gewesen, der ihn schließlich nach Kanada verschlug. Als Bekannte auswandern wollten, entschied er sich, mitzugehen. Das war 1952. „Ich habe gleich am ersten Tag in Toronto einen Job als Drucker bekommen“, sagt Dünnhaupt.
Und noch einmal folgte ein Neuanfang: Ab 1964 studierte er italienische Literatur und Germanistik an der Universität Toronto. Acht Jahre später promovierte er an der amerikanischen Elite-Universität Brown über die deutschen Versionen der Epen von Ludovico Ariosto und Torquato Tasso. Lehrtätigkeiten führten ihn an amerikanische und kanadische Universitäten - Washington, Michigan, Illinois sowie Kingston.
Seiner deutschen Heimat hat er in all den Jahren die Treue gehalten, obwohl er nie wieder hier leben wollte. „Ich bin zeitlebens mit Bernburg in Verbindung geblieben. Die Stadt hat Charakter“, sagt Dünnhaupt. So erinnert er sich gerne an die Bergstadt mit ihrer Schlossterrasse, die Saale und das Krumbholz. Seine anhaltische Heimat war auch häufig Thema seiner Forschungen. So widmete er sich beispielsweise der Fürstlichen Druckerei zu Köthen oder Diederich von dem Werder. Vortrags- und Forschungsreisen führten ihn immer wieder nach Deutschland.
Geforscht hat der 85-Jährige hauptsächlich auf dem Gebiet der deutschen Renaissance- und Barockliteratur. So verfasste er die einzige kommentierte Bibliografie zur deutschen Barockliteratur - eine Sammlung von rund 10 000 Büchern auf 4 500 Seiten, verteilt auf sechs Bände. Dieses Werk dient heutzutage als Basis für die Sammlung der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Ziel ist es, alle Bücher zu finden, die Dünnhaupt aufgelistet hat. Für seine Forschungsarbeit erhielt Dünnhaupt sogar den Titel „Fellow of the Royal Society of Canada“ - es ist die höchste Auszeichnung, die Kanada an Gelehrte verleiht.
Dünnhaupt ist nach wie vor aktiv. Er hält Vorträge und hat ein Stipendiat gegründet, das kanadische Studenten unterstützt, die in Deutschland forschen wollen. „Die wissenschaftliche Neugierde ist noch da. Als Gelehrter ist man immer ruhelos“, sagt er - und das gilt auch im Ruhestand.
Das Projekt „Dünnhaupt Digital“ im Netz unter: www.hab.de