Baby-Todesfälle vor 1989 Mysteriöse Todesfälle von Babys vor 1989 in Bernburg: Angehörige Hinterbliebene vermuten Zwangsadoptionen in DDR

Bernburg - Wo ist meine Schwester? Mit dieser Frage quält sich Nadine Varnholt schon mehr als ein Jahr herum. Denn genau zu dieser Zeit kamen bei der 37-Jährigen und ihrer Mutter die ersten Zweifel auf, dass im damaligen Kreiskrankenhaus Bernburg im Februar 1980 es gar nicht so ablief, wie bis dahin angenommen.
Als Frühchen kam ihre Schwester Nancy Böge in der 32. Schwangerschaftswoche zur Welt, drei Tage später wurde der Mutter der Tod ihrer Tochter mitgeteilt. Gesehen hatte sie ihr Kind nicht noch einmal. Und das war nur der Anfang vieler Ungereimtheiten.
Drei Tage nach der Geburt wurde der Mutter der Tod der Tochter mitgeteilt
Denn bis heute ist unklar, was aus dem Körper des Neugeborenen wurde. Ein Grab in Bernburg gibt es nicht, in den Friedhofsbüchern taucht der Name nicht auf. Auch nicht in Dessau, wo Nadine Varnholts Mutter gerade eine Wohnung mit ihrem Mann bezogen hatte.
Der Obduktionsbericht war auch mit einem Stempel der Klinik Dessau versehen. Doch auch in den Friedhofsbüchern in Dessau ist der Name nicht zu finden. „Ich möchte endlich Gewissheit haben“, sagt Nadine Varnholt, die in den vergangenen Monaten immer weiter geforscht hat und sich nun sicher ist:
Entweder wurde ihre Schwester zwangsadoptiert, wie es inzwischen etliche betroffene Familien vermuten, deren Kinder auf mysteriöse Weise in den DDR-Krankenhäusern verstorben sind oder der Leichnam wurde für Forschungszwecke genutzt - ohne die Zustimmung der Eltern.
Wurde Nadine Varnholts Schwester zwangsadoptiert - oder wurde der Leichnahm für Forschungszwecke genutzt?
Ob diese Vermutungen stimmen, bleibt abzuwarten. Denn aus der Krankenhausakte, die ihre Schwester überraschenderweise auch nach der abgelaufenen 30-Jahres-Frist aus dem Archiv des Ameos Klinikums Bernburg als Nachfolgeklinik erhalten hat, geht nicht hervor, was mit dem Baby nach seinem angeblichen Tod passierte.
Stattdessen endet die Dokumentation des Inkubators etliche Stunden vor dem angegebenen Tod. Nur ein Versäumnis? „Ich hoffe sehr, dass man im Klinikum womöglich noch die Ausgangsbücher findet, in denen dokumentiert wird, wann und wohin die Patienten die Klinik verlassen haben“, sagt Varnholt.
Und noch eine Hoffnung hat sie, nämlich dass sich vielleicht eine der Hebammen an den Fall ihrer Schwester erinnern kann und womöglich endlich Licht ins Dunkel bringt.
Nur einer der Zwillinge von Gundula Polarczyk aus Ilberstedt überlebte die Geburt - und es gibt keine Krankenhausakte
Genau diese Hoffnung hat auch Gundula Polarczyk aus Ilberstedt, die, als sie von dem Fall der verschwundenen Nancy hörte, sofort an ihren eigenen Schicksalsschlag erinnert wurde. Denn bei der Zwillingsgeburt ihrer beiden Söhne im Jahr 1983 überlebte nur einer der Jungen. Der Tod ihres Sohnes Matthias ist ihr zwei oder drei Tage nach der Geburt bei der Visite mitgeteilt worden.
„Ich stand völlig neben mir, wurde vollgepumpt mit dem Beruhigungsmittel Faustan“, erinnert sich Polarczyk auch an den Streit mit einer Schwester, die sie darum bat, auf einen Zettel die Namen der beiden Jungen aufzuschreiben. „Ich hatte die Reihenfolge vertauscht und die Schwester schrie los“, erzählt Polarczyk. Ein Hinweis, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging?
Diese Frage bleibt offen. Denn bis jetzt gibt es keine Spur von der Krankenhausakte ihrer beiden Söhne. „Es hat mir schon 2014 keine Ruhe gelassen, also habe ich die Akten angefordert. Meine hab ich bekommen, die der Kinder war nicht auffindbar, obwohl die Frist da gerade abgelaufen war und bis dahin noch keine Akten vernichtet wurden, so die Aussage in der Klinik“, sagt die Dreifachmutter.
In Akten des Friedhofs II Parkstraße steht der Name Matthias Polarczyk
Anders als im ersten Fall taucht der Name Matthias Polarczyk zumindest in den Grabbüchern des Friedhofs II an der Parkstraße auf. Doch das ist für die Ilberstedterin kein Beweis, dass ihr Sohn dort tatsächlich begraben wurde. Schließlich hat es in den vergangenen Monaten bei Exhumierungen mehrfach Fälle gegeben, bei denen lediglich Tierknochen oder völlig andere Kindersachen gefunden wurden, als die, die die Eltern der verstorbenen Kindern mitgegeben hatten.
Darum ist auch die Suche nach Antworten für Gundula Polarczyk noch längst nicht beendet. Auch wenn sie die Zelte nun in ihrer Heimat abgebrochen hat, will sie weiter kämpfen, um irgendwann die Wahrheit zu erfahren.
Wer etwas zum Verbleib der beiden Babys weiß, vielleicht zu dieser Zeit sogar selbst auf der Geburtenstation tätig war oder möglicherweise sogar ein ähnliches Schicksal wie die Familien erlebt hat, dann melden Sie sich unter folgender Adresse: [email protected] oder 03471/652 02 12. Wer anonym Kontakt zu den Betroffenen aufnehmen möchte, kann sich unter: 0170/181 07 35 melden. (mz)