Kunst am Bau Kunst am Bau: Wird der Tolstoiallee die Seele genommen?

Bernburg - Das Schicksal des Bärchenbrunnens, der seit 1968 vor dem Schulgebäude an der Tolstoiallee steht, bewegt viele Bernburger. Zahlreiche Leser haben sich nach dem jüngsten Bericht vom Montag auf der MZ-Facebookseite zu Wort gemeldet und ihren persönlichen Standortwunsch mitgeteilt. Neben dem bislang favorisierten Umzug in den Tiergarten wurden auch der Waisenhausplatz, die Alte Bibel, der Karlsplatz, die Schlossterrasse und der Platz der Jugend genannt.
Gleich mehrere Leser sprachen sich dafür aus, die Bronzeplastik in das verwaiste Braunbärengehege am Schloss zu bringen, um dort an die frühere Haltung des anhaltischen Wappentieres zu erinnern.
Grundstück soll verkauft werden
Es gibt aber auch Stimmen, die für einen Verbleib an Ort und Stelle plädieren. Die Bronzeplastik soll nach Angaben von Thomas Gruschka, Geschäftsführer der Bernburger Freizeit GmbH, in den Tiergarten umziehen und dort im nächsten Jahr nahe der Terrasse der „Tiergartenschenke“ wieder als Brunnen große und kleine Besucher erfreuen. Hintergrund des in den nächsten Wochen beabsichtigten Abbaus und späteren Wiederaufbaus ist die zwischenzeitliche Absicht des Salzlandkreises, das Grundstück der mit Naphthalin verseuchten Schule zu verkaufen. Diese Pläne wurden verworfen.
Mittlerweile ist die Zukunft des Areals offen. Und damit auch ein Verbleib der drei spielenden Bärenkinder möglich?
Zu DDR-Zeiten ging es auch um Kunst am Bau
Wie Günter Böhm, der vor über 50 Jahren das Fundament für den Brunnen gemauert hatte, spricht sich auch Heimatforscher Joachim Grossert dafür aus. Er hat sich intensiv mit dessen Entstehungsgeschichte auseinandergesetzt.
Demnach müsse der Brunnen im historischen Zusammenhang gesehen werden mit der 1952 in der DDR verabschiedeten Anordnung über die künstlerische Ausgestaltung von Verwaltungsgebäuden, die ab 1959 auch auf den Wohnungsbau bezogen wurde und ab 1965 um die „komplexe Umweltgestaltung“ erweitert wurde. Fortan mussten Kunstwerke nicht mehr tektonisch mit dem Bauwerk verbunden sein. „Dem Beton des Schulbaues wird auf einer vorgelagerten Grünfläche ein durch das Wasser des Brunnens gleichsam lebendiger optischer Kontrapunkt gesetzt, der nicht nur das Auge, sondern auch in der Aussage durch die wirklichkeitsnahe Gestaltung Schüler, Lehrer und Bürger erfreuen sollte. Die drei jungen Bären in Bronze tollen herum – und haben viel Freude daran. Das ist ihre Art zu lernen“, analysiert Joachim Grossert diese „Kunst am Bau“.
„Der Brunnen muss dort stehen bleiben, solange das Gebäude steht“
Der Bärchenbrunnen ist aus seiner Sicht ein gutes Beispiel für eine notwendige differenzierte Beurteilung der Werke des „Sozialistischen Realismus“. Die Entscheider über die Vergabe des Kunstwerkes konnten 1968 einem vollkommen ideologiefreien Entwurf den Zuschlag erteilen.
Der kürzlich verstorbene langjährige Museumsdirektor Ottomar Träger, ein ausgewiesener Fachmann auf den Gebieten Denkmalschutz und Städtebau, habe sich Joachim Grossert gegenüber zu Lebzeiten wie folgt geäußert: „Der Brunnen muss dort stehen bleiben, solange das Gebäude steht.“ Mit der Entfernung des Brunnens werde der Tolstoiallee die Seele genommen. (mz)