Ein Foto von Marianne Latoschinski ist aufgetaucht
BERNBURG/BAYREUTH/MZ. - Es war eine Mischung von Ungläubigkeit, Betroffenheit, Staunen, Freude, Glück . . . Von allem etwas. Sie hat nicht viel gesprochen", schreibt Peter Schwalme an die MZ-Redaktion. Erika Hutzkler ist die Tochter der im September 1944 von den Nazis in Plötzensee ermordeten Marianne Latoschinski (die MZ berichtete).
Dass Erika Hutzler ein Foto ihrer Mutter erhalten hat, ist der Bernburgerin Edith Würfel zu verdanken. Wie die Latoschinskis hat sie mit ihrer Familie in der Bernburger Korngasse gelebt. Mit Erika Hutzlers älteren Schwester Adelheid war sie befreundet. "Und die Erika habe ich im Kinderwagen durch die Korngasse geschoben", erinnert sich die 79-Jährige gut. Und weil sie erst kürzlich in den alten Fotos gekramt hatte, erinnerte sie sich auch an eins, dass ihr in die Hand gefallen war. Es zeigt sie mit ihrer Freundin Adelheid und deren Eltern Marianne und Frank Latoschinski auf dem Schützenplatz.
"Das Foto zeigt eindeutig Erikas Vater, Franz Latoschinski. Erika und meine Frau (für meine Frau war er der Adotivvater) haben ihn gleichermaßen sofort und klar identifiziert. Und Erika erkannte auch ebenso eindeutig ihre ältere (Halb-)Schwester Adelheid (Hinz). Erikas Mutter Marianne erkannten wir hier natürlich alle nicht, weil wir sie ja nicht kannten. Die Ähnlichkeit vor allem der Augenpartie mit ihrer Tochter Erika ist aber nach unserer allgemeinen Auffassung klar und eindeutig. Wir haben keine Zweifel. Es ist Erikas Mutter Marianne Latoschinski", schreibt Peter Schwalme über das Foto, das etwa 1940 entstanden ist.
"Die Hinz's waren alle Kommunisten", erinnert sich Edith Würfel. Und Marianne Latoschinski war die Schwester von Bruno Hinz. "Die Marianne konnte ihren Mund nicht halten", erinnert sich Edith Würfel an die Gespräche der Erwachsenen. Und so war es wohl auch, als die Geheime Staatspolizei bei "Kitzings", einer Kneipe am Saalplatz auftauchte und Marianne Latoschinski mitnahm. Jemand hat sie denunziert, als sie wieder einmal aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht hatte, ist Frau Würfel überzeugt. Eine Aussage, die auch die alten Gerichtsakten bestätigen, weiß Joachim Grossert, der sich mit dem Fall beschäftigt hat.
In der Korngasse war das alles bekannt. Auch das Marianne Latoschinski Kommunistin war. Für die Nachbarn habe das kaum eine Rolle gespielt. So hatte Edith Würfels Mutter engen Kontakt zu Käthe Haupt, der Schwester von Marianne Latoschinski. Wie das unter Nachbarn eben üblich war, die abends "mit ihrer Hitsche vor der Tür saßen, um sich zu unterhalten". Und auch die Nachricht, dass Marianne Latoschinski enthauptet worden war, war kein Geheimnis.
Repressalien hatte die Familie nicht auszustehen, glaubt Frau Würfel sich zu erinnern. Käthe Haupt arbeitete im Theater, ihr Mann Erich Haupt hatte Arbeit im Kaliwerk. Aber die Haupts waren ruhiger und unauffällig, so die Bernburgerin. Nach dem Krieg soll Erich Haupt als Kommunist eine leitende Stellung auf dem Schacht bekommen haben. Schließlich ging die Familie in den Westen, weiß Edith Würfel.
"Nach so vielen Jahren fällt die Erinnerung schwer", sagt Gerhard Pannicke, Jahrgang 1934. Auch er ist ein Kind aus der Korngasse. Er sagt auch, dass Marianne Latoschinski angeschwärzt wurde. "Da waren auch Leute aus der Straße im Gespräch." Aber an Namen erinnert er sich nicht, zumal damals manch Gerücht über den Fall kursierte. Was er jedoch weiß: Marianne Latoschinski war zuerst im Bernburger Gefängnis am Schloss, bevor sie nach Berlin gebracht wurde. Und Pannicke erinnert sich an Wolfgang und Adelheid Wilhelm, beides Kinder von Marianne Latoschinski aus erster Ehe. "Die waren etwas älter als ich und wohnten in der Sieben unten rechts", sagt er.
Erika Hutzler lebte nach dem Tod ihrer Mutter bei ihren Großeltern. Aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, nahm der Vater die Tochter mit nach Bayern. In den letzten Monaten hat Peter Schwalme die Familiengeschichte seiner Schwägerin aufgearbeitet. Mittlerweile bekundet auch die "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" in Berlin Interesse. Für ihr Totenbuch benötigen sie ein Foto von Marianne Latoschinski. Nach über 60 Jahren liegt das nun vor. Indes würde Joachim Grossert gern wissen, wann genau Marianne Latoschinski verhaftet wurde. Darüber schweigen die Akten.