Leiche neben Adventsgesteck Wie der Tod eines Mannes in Aschersleben aufgeklärt werden konnte
Ein ehemaliger Kriminalist erinnert sich an alte Fälle. Heute geht es um einen Mann, der sein halbes Leben im Gefängnis verbracht hat.

Aschersleben/MZ - An einem ganz normalen Wochentag im November hatte man mich beauftragt, einen Bürger anzuhören, der sich auf meiner Dienststelle gemeldet hatte. Der Mann war mittleren Alters und hatte einen süßen, schwarzen Welpen bei sich.
Er stellte sich vor und ging sofort in einen Redefluss zusammenhangloser Informationen über. Irgendwann war es mir gelungen, diese akustische Reizüberflutung zu drosseln und den wesentlichen Inhalt, also das eigentliche Anliegen, herauszufiltern.
Da der Sachverhalt nicht die Zuständigkeit der Polizei berührte, gab ich dem Mann einige freundliche und praktische Hinweise, wohin er sich mit seinen Problemen wenden könnte. Nach einer kurzen Protokollnotiz im Einsatzjournal war der Sachverhalt für mich eigentlich abgeschlossen.
Dennoch ging mir der merkwürdig unsicher und aufgeregt wirkende Mann nicht gleich aus dem Kopf. Ohne danach gefragt worden zu sein, hatte er bereitwillig in seinem Redeschwall offenbart, dass er 20 seiner 41 Lebensjahre in der Justizvollzugsanstalt verbracht hatte und jetzt, kurz nach seiner Entlassung, versuchen wollte, wieder in ein normales Leben zu finden.
„Upps, 50 Prozent des Lebens im Knast, das ist mal eine Hausnummer“, dachte ich mir, ohne zu ahnen, dass dieser Gedanke bald auf tragische Weise Realität werden würde. Nach einigen Wochen, an einem Adventssonntag, hatte ich Bereitschaftsdienst und erhielt sinngemäß folgenden Anruf.
„Wir haben einen Toten in einer Wohnung, nach einem Schwelbrand, du musst kommen! Der Notarzt hat den Tod festgestellt, wurde jedoch inzwischen zu einem weiteren Einsatz gerufen. Die genauen Umstände sind noch ungeklärt. Die Feuerwehr hat den Ereignisort freigegeben und ist nach kurzem Einsatz abgerückt. Unsere Kollegen sind noch am Ort.“
Nachdem ich die Dienststelle erreicht und mich einsatzbereit gemacht hatte, studierte ich die vorliegenden Informationen. Im polizeilichen Einsatzjournal war ein 41-jähriger Mann mit dem Status „Leiche“ erfasst worden.
Der Name kam mir bekannt vor, und es war schnell klar, dass es um den ehemaligen Strafgefangenen ging. „Da hat aber die Wiedereingliederung unter keinem guten Stern gestanden“, dachte ich mir und begab mich zum Brandort, der zugleich Fundort der Leiche gewesen war.
Die Fenster im dritten Stock des mehrgeschossigen Mietshauses waren weit geöffnet. Vor der Haustür wurde ich bereits von den Kollegen der Schutzpolizei erwartet und über die Sachlage informiert. Ein anwesender Zeuge erklärte mir, dass er den Brand gemeldet hatte.
Mit den Worten: „Ich habe das schon Ihren Kollegen erzählt, bevor sie die Tür geöffnet und den Mann gefunden haben“, zeigte er nach oben. Auf Befragung gab er sinngemäß an: „Seit der dort oben eingezogen ist, dröhnte immer ganz laut Musik von seinem Kassettentonbandgerät durch das Haus, ganz schön nervig. Ansprechen durfte man ihn nicht. Er hat dann immer sehr aggressiv reagiert.“
„Heute ist mir aufgefallen, dass die Musik stundenlang immer wieder von vorn begonnen hat, ohne dass nur ein einziges Mal die Tonbandkassette gewechselt worden wäre. Da mir diese Endlosschleife extrem auf die Nerven ging und starker Rauchgeruch durch das Treppenhaus zog, ahnte ich nichts Gutes und habe dann an seiner Tür geklopft. Es roch verbrannt, und niemand hat reagiert. Da habe ich bei euch angerufen“, erzählte der Zeuge damals.
Ich suchte nun den eigentlichen Brandort auf. Die Tür und die Fenster waren bereits durch die Kollegen der Schutzpolizei geöffnet worden. Nach dem Betreten der Wohnung erblickte ich den Toten im Korridor und erkannte ihn sofort wieder.
Die Leiche war auf den Unterarmen und Knien zusammengekauert. Die Kunststoffscheibe der Wohnzimmertür hatte durch die Hitzeeinwirkung ihre Spannung verloren, sich aus dem Türrahmen gelöst, wie eine Folie über die Leiche gelegt und war dann wieder erkaltet. Der zusammengekauerte Tote sah aus, wie in Folie eingeschweißt.
Insbesondere das Wohnzimmer wies alle Anzeichen eines kleinflächigen Schwelbrandes ohne offene Flamme auf. Die Ermittlungen zur Brandursache führten dann relativ konsequent und zweifelsfrei zu eindeutigen Ergebnissen.
Demnach hatte der Mann vor seinem Tod vermutlich auf der Couch gesessen und dort ein Adventsgesteck angezündet. Sehr wahrscheinlich ist er dann eingeschlafen, und die weit heruntergebrannten Kerzen haben die Gegenstände in unmittelbarer Umgebung auf dem Couchtisch entzündet.
Aufgrund der geschlossenen Fenster und Türen dürfte der vorhandene Sauerstoff nicht ausgereicht haben, um einen offenen Brand zu entfachen. Der Wohnungsinhaber hatte sich im Verlaufe des Geschehens zweifellos noch aus eigener Kraft von der Couch in Richtung Küche begeben und ist vor der Wohnstubentür ohnmächtig zusammengebrochen.
In der Folge war er dann in dieser misslichen Körperhaltung an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung gestorben. Dieses Schicksal hatte auch der schwarze Hundewelpe erlitten, der ebenfalls leblos in der Wohnstube lag. Da war sie wieder, die Erkenntnis, wie schnell ein Leben tragisch beendet sein kann, wenn man nicht auf der Hut ist. Der Einsatz war für mich erst wirklich beendet, nachdem ich zu Hause alle Rauchmelder überprüft hatte.
Im beschriebenen Fall waren insbesondere die Fragen nach der Brandursache sowie zur Todesursache zu beantworten. Nachdem die Identität des Verstorbenen zweifelsfrei festgestellt war, galt es zu untersuchen, ob man die vorgefundene Gesamtsituation schlüssig und nachvollziehbar erklären konnte und ob eine sogenannte dritte Hand im Spiel gewesen sein könnte.
Deshalb mussten zunächst die Brandausbruchstelle gefunden und die Brandursache geklärt werden, was relativ schnell zu einem eindeutigen Befund geführt hatte: Der Mann war an einer Rauchgasvergiftung, also durch Kohlenmonoxid, gestorben - und damit an den Folgen des Brandes, den er selbst fahrlässig verursacht hatte.