Unermüdlich für Gerechtigkeit
Aschersleben/MZ. - Das Ehepaar Monika und Wolfgang Deistler aus Drohndorf ist von Anfang an dabei. Auf die Frage nach dem Warum sagt die ehemalige Kindergärtnerin: "Mein Mann und ich sind nach jahrelanger Arbeitslosigkeit mit 18 Prozent Abschlag in Rente gegangen. Nullrunden und ständige Kostensteigerungen in fast allen Bereichen schmälern das knappe Einkommen zusätzlich. Damit wollen wir uns nicht ohne Weiteres abfinden."
Die Aussage von Monika Deistler macht eines deutlich: Es geht längst nicht mehr nur um Hartz IV bei den Veranstaltungen in der Ascherslebener Innenstadt, sondern um soziale Gerechtigkeit in allen Bereichen. In dem Bestreben, das drohende Hartz-IV-Gesetz abzuwenden, hatten sich anfangs einige tausend Menschen auf dem Markt zusammengetan und lautstark protestiert. Nach Inkrafttreten des Gesetzes bröckelte die Teilnahme immer mehr, bis manchmal nur noch um die 15 Teilnehmer anwesend waren. In den benachbarten Städten gaben die Organisatoren auf. Sie resignierten ebenso wie viele Hartz-IV-Empfänger. Nicht so in Aschersleben. Die Organisatoren um Tommi Sander und Axel Schmidt geben zu, dass sie manches Mal schon deprimiert waren. Aber ein Aufgeben kam für sie nicht in Frage: "Zum einen erleben wir, wie die Leute schimpfen. Zum anderen haben wir engagierte Mitstreiter, die uns Mut machen." Ein solcher ist zum Beispiel Rechtsanwalt Nico Sauer, der Widersprüche zu den Hartz-IV-Bewilligungen bearbeitet und viele Einzelschicksale kennt. Er ist einer der Redner und berichtet, dass von 6100 Widersprüchen 44 Prozent erfolgreich waren. Diese kleinen Erfolge sind ein dritter Grund für die Initiatoren, weiterzumachen. Axel Schmidt ist überzeugt davon, dass anhaltende Proteste aus dem ganzen Land dazu geführt haben, die Auszahlungsmodalitäten zu ändern und eine Angleichung der Sätze Ost-West zu erreichen.
Auch Frank Mühle und Gerhard Urban sind seit Beginn dabei. Die Sorge, wie es weitergehen soll, treibt sie um. Ihnen tun besonders die Kinder aus armen Familien leid, deren Eltern kaum das Geld für die Schulbücher aufbringen und die mit Gleichaltrigen in punkto Markenklamotten oder Urlaubsgestaltung nicht mithalten können.
Die Redner am Mikro drücken es auf ihre Weise aus: Udo Gebhard, DGB-Chef von Sachsen-Anhalt, stellt u. a. fest, dass Deutschland zwar reich, die Umverteilung des Reichtums aber armselig sei. Kürzungen von Pendlerpauschale, Eigenheimzulage, Sparerfreibetrag u. v. a. sowie Preiserhöhungen würden aus Arbeitnehmern und Rentnern "Zahlmeister der Nation" machen. Er beklagt, dass viele Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr leben können, weil Minijobs, befristete Arbeitsverträge und fehlender Mindestlohn "Ausbeutung fördern".
Redner kommen auch aus Hettstedt, Halberstadt und Wittenberg. Alle beglückwünschen die Ascherslebener zu ihrem langen Atem. Sogar die Bundestagsabgeordnete Elke Reinke hatte in Berlin geschwänzt, um "ihren" alten Mitstreitern an diesem Tag Dank zu sagen. Dankesworte fielen reichlich: für die "Interessengemeinschaft contra Sozialabbau", das "Aktionsbündnis soziale Gerechtigkeit", die Helfer und Getreuen und nicht zuletzt für die Polizei, die die Demos "immer gut beschützt haben".