Stolperstein erinnert an Stephaneer
Aschersleben - Er war sportlich, liebte das Baden und wäre heute vielleicht ein Mitglied des Freundeskreises der Stephaneer gewesen. Doch der Abschluss an dem Ascherslebener Gymnasium blieb Hans-Gideon Hirschfeld verwehrt, denn der 1921 in Berlin geborene Stephaneer, der einer jüdischen Familie entstammte, musste 1935 mitten im Schuljahr das Gymnasium verlassen.
Eine Flucht, mit der der jüdische Schüler dem stärker werdenden Nationalsozialismus entkommen wollte. Zusammen mit seinem Vater, der in Aschersleben ein angesehener Rechtsanwalt war, seiner Mutter, die als orientalische Schönheit beschrieben wurde, und seiner fünf Jahre jüngeren Schwester Judith. Mit ihnen floh der Gymnasiast über Triest nach Palästina, wo die Familie in einen Kibbuz bei Naharia zog und wo Hans-Gideon Hirschfeld früh und nach einer schweren Krankheit verstarb.
Seit Sonnabend erinnert nun ein sogenannter Stolperstein an den ehemaligen Stephaneer. Eine zehn mal zehn Zentimeter große Messingplatte mit den Daten Hirschfelds, die der Kölner Künstler Gunter Demnig bei fröstelnden Temperaturen in das Pflaster vor dem Ascherslebener Gymnasium einlässt.
"Damit ist Aschersleben die 388. Kommune in Deutschland, in der es solche Stolpersteine gibt", verrät der Künstler. 95 Prozent der inzwischen schon über 17 000 Steine, die an Opfer des Nationalsozialismus erinnern, hat er übrigens persönlich verlegt: mit Hammer und Meißel, Schraubenzieher und Kelle. So auch in benachbarten Kommunen, wie Ballenstedt und Eisleben, Halle, Klostermansfeld oder Magdeburg, aber auch im europäischen Ausland.
Für Aschersleben ist es der erste Stolperstein, macht der Künstler gleich noch eine Ausnahme. "Eigentlich will ich mit dieser Aktion die Namen dorthin zurückbringen, wo die Menschen einst gelebt haben", beschreibt Demnig seinen Kampf gegen das Vergessen. Doch in Aschersleben soll die Erinnerung vor der Schule, in die Hans-Gideon Hirschfeld zu Ostern des Jahres 1931 aufgenommen wurde, wachgehalten werden. Denn das Verlegen des Steines geht hier auf die Initiative des Lehrers Lars Bremer zurück.
"Vor zwei Jahren habe ich mit meinen Elftklässlern im Schularchiv nachgeschaut, ob es am Stephaneum jüdische Schüler gab", erzählt der Religions- und Lateinlehrer, der dabei auf Hirschfelds Schülerakte stieß. "Seit zwei Jahren recherchieren wir nun, haben Stück für Stück über sein Leben zusammengetragen", verrät Lars Bremer, der dafür nicht nur Schul- und Stadtarchiv nutzte, sondern auch noch einige Zeitzeugen traf, die mit Hans-Gideon Hirschfeld einst die Schulbank drückten.
Zeichen des Andenkens
Bremer nahm auch Kontakt zu dem Kölner Künstler auf, denn ihm gefiel die Stolperstein-Aktion. "Steine verlegen ist ein alter jüdischer Brauch", begründet der Lehrer das und meint: "Der Stein ist ein Symbol der Fürsorge, ein Zeichen des Schutzes und des Andenkens." Mit Demnigs Gedenkplatte kommt ein weiterer Aspekt hinzu: "Der Stolperstein soll auch ein geistiges Stolpern bei den Schülern und Mitbürgern hervorrufen", hofft Lars Bremer. "Er erinnert an ein Opfer von Ausgrenzung und willkürlicher Drangsalierung und mahnt, solche Ausschreitungen in Zukunft nicht wieder zuzulassen."
Hirschfeld sei dabei ein Beispiel dafür, dass die Opfer von Willkür auch Namen trügen, sportlich oder unsportlich seien, zur Tanzstunde oder zum Baden gingen. "Für uns", so weiß der Lehrer, "bleibt die Erinnerung an einen jüdischen Schüler des Stephaneums und die Mahnung, Ausgrenzung und Gewalt in unserer Schule, in unserer Stadt, in unserer Gesellschaft nicht wieder zuzulassen."
Würdiger Rahmen
Das wollten auch die Schüler der siebenten Klasse des Ascherslebener Stephaneums zeigen, die in ihrem Religionsunterricht gerade das Judentum behandeln. Sie gestalteten aus Anlass der Stolperstein-Verlegung ein kleines Programm, um der Aktion am Sonnabend einen würdigen Rahmen zu verleihen.