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Stadtführung  Stadtführung : Eine Stadt in der Stadt

Von Stefanie Glaschke 06.03.2017, 10:02
Ronny Reitzig führt eine große Schar von Interessierten durchs Junkersfeld.
Ronny Reitzig führt eine große Schar von Interessierten durchs Junkersfeld. Thomas Tobis

aschersleben - Das Interesse an der Führung, die Gästeführer Ronny Reitzig gemeinsam mit der Kulturanstalt angeboten hat, war überwältigend. Mehr als 70 Anmeldungen verzeichnete die Kulturanstalt zur Themenführung „Industriekultur in Aschersleben“.

Insgesamt wurde für etwa 50 Personen die Teilnahme möglich. Die anderen Bewerber stehen auf einer Warteliste und erhalten im Oktober die Möglichkeit, die Veranstaltung zu erleben. Denn kurzerhand war beschlossen worden, einen zweiten Termin im Herbst anzubieten, damit jeder Interessent die Chance bekommt, dabei zu sein.

Zweigwerk gab es seit 1935

Das Junkersfeld war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges eine bedeutende Industrieanlage für den Flugzeugbau. 6.500 Menschen arbeiteten in Spitzenzeiten hier und setzten die Flugzeugteile zusammen, die aus Bernburg angeliefert wurden.

1935 wurde in Aschersleben ein Zweigwerk der Junkers-Flugzeug- und Motorenwerke AG angesiedelt. Wo heute kaum noch etwas zu erkennen ist, standen damals sechs Hallen riesigen Ausmaßes. Zum Bau einer siebten Halle kam es nicht mehr, obwohl sie geplant war. Zu Spitzenzeiten umfasste das gesamte Firmengelände 66 Hektar Fläche. Die Hallen waren jeweils mindestens 4.000 Quadratmeter groß.

Zwangsarbeit im Junkersfeld

Dicht an dicht waren die Arbeitsplätze gedrängt. Hier entstand der Rumpf der JU-52, JU-57 und der JU-88. Ende 1938 waren 41 Prozent der Bevölkerung von Aschersleben direkt und indirekt vom Flugzeugbau abhängig.

Aber nicht nur freiwillige Arbeiter befassten sich mit dem Flugzeugbau. Ab 1941 gab es ein Konzentrationslager für Frauen und ab Februar 1945 eines für Männer auf dem Gelände. Hier waren Zwangsarbeiter untergebracht. Sie waren verpflichtet, in den Flugzeugwerken bei der Montage der Flugzeugrümpfe zu helfen.

Geschichte wird mit Worten wieder lebendig

Zu den Produktionshallen kamen die Wohlfahrtshäuser, die die Umkleideräume, die Küchen und Speisesäle für die Belegschaft beherbergten. Allein in einem Wohlfahrtshaus konnten 450 Arbeiter verköstigt werden. Unterhalb der Gebäude befanden sich die Luftschutzkeller.

Gästeführer Reitzig versteht es, die Geschichte mit Worten lebendig werden zu lassen. Er kennt das Gelände wie seine eigene Westentasche und so mancher Teilnehmer konnte die Gebäude vor sich sehen, obwohl nur noch Überreste vorhanden sind.

Tobis

Die Überreste von Halle 5.

30 Häuser für die Belegschaft

Einst waren die Junkerswerke in Aschersleben fast eine kleine Stadt in der Stadt. Sogar eine Lehrwerkstatt wurde 1936 eingerichtet. Aber die Belegschaft musste auch untergebracht werden.

Aus diesem Grund entstanden zwischen Hellgraben und Halberstädter Straße 30 Häuser mit Wohnungen für die Arbeiter und ihre Familien. Was ursprünglich als eine Übergangslösung gedacht war, wurde nach dem Krieg nicht mehr verändert. Die Häuser stehen noch heute.

In seiner Blütezeit konnte der Betrieb seinen Angestellten sogar Urlaub in unternehmenseigenen Erholungswerken anbieten. Auch preiswerte Häuser auf dem Gelände standen den Arbeitern zum Kauf zur Verfügung.

Erfolg macht zum Angriffsziel

Doch wegen seines Erfolges wurde das Junkersfeld auch zum Angriffsziel für Bomben. Zwischen 1942 und 1944 hat es sechs Angriffe mit insgesamt 87 Toten gegeben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der DDR wurde das zerstörte Gebiet nicht weiter genutzt. Selbst die Räumung von Trümmern ist noch nicht vollständig vollzogen.

Reitzig versteht es, seine Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Obwohl der Weg durch Wald und Wiese geht, sind alle guter Dinge und lauschen gespannt seinen Ausführungen. Sogar für die Bildbegeisterten hat er Tipps. Reitzig kennt das Areal so gut, dass er den Hobbyfotografen die perfekten Standorte empfehlen kann.

Geschichte als Hobby

Der Gästeführer geht vollkommen auf in der Geschichte der Stadt. Umso spannender war seine Recherche zum Junkersfeld. Schließlich, so Reitzig, ist er in der Nähe aufgewachsen, seine Kindheit und Jugend hat er hier verbracht.

Aber nicht nur das Junkersfeld bietet der Stadtführer als Thema. Auch Themen wie die Mühlen und „Kohle und Salz“ gehören zu seinem Führungs-Angebot. „Ich bin von Geschichte besessen“, gibt er zu.

„Und ich bin froh, dass ich so viel Unterstützung erfahre. Heimatforscher Reiner Mühle beispielsweise ist ein bedeutender fachlicher Ratgeber. Nicht zuletzt hilft mir auch meine Frau. Sie ist meine schärfste Kritikerin.“

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Die in der Junkers-Motorenbau und dem Junkers-Flugzeugwerk hergestellten Motoren und Flugzeuge genossen einen ausgezeichneten Ruf, gleichzeitig galt ihr alleiniger Eigentümer Hugo Junkers den NS-Machthabern als politisch unzuverlässig. Junkers wurde daher 1933 gezwungen, seine Patente auf die Unternehmen zu überschreiben und 51 Prozent seiner Anteile an das Reichsluftfahrtministerium entschädigungslos abzugeben. Gleichzeitig bekam Junkers Hausverbot in seinen Werken.

Nach Junkers Tod 1935 überließ seine Witwe und Erbin Therese Junkers die restlichen Anteile gegen ca. 30 Millionen Reichsmark ebenfalls dem Luftfahrtministerium. Beide Unternehmen wurden am 5. Juli 1936 zur Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG fusioniert. Neben dem Stammwerk in Dessau betrieben die JFM Fabrikstätten in Halle/S., Gräfenhainichen und Jüterbog. In der Folgezeit wurden weitere Zweigwerke eröffnet: u.a. in Aschersleben, Bad Langensalza, Bernburg-Strenzfeld , Halberstadt, Köthen, Leopoldshall bei Staßfurt, Magdeburg, Merseburg und Schönebeck.  Quelle: Wikipedia (mz)

Die Überreste von Halle 5.
Die Überreste von Halle 5.
Tobis