Stadtbibliothek Stadtbibliothek: Lockruf von Harry Potter
Güntersberge/MZ. - Ida Winger konnte nicht anders. Die 79-jährige Oma war am Freitag zur Wiedereröffnung der Stadtbibliothek in die alte Schule gekommen. Doch weil sich Bürgermeister Kurt Kipper mit dem versprochenen Sekt verspätete, griff Ida Winger einfach in ein Regal, schnappte sich einen dicken Roman und ... sie begann zu lesen.
"Lesen ist von Kindheit an mein Hobby", schmunzelte Ida Winger. Weil sie dauernd las, statt etwas zu tun, habe sie schon als Kind Ärger mit ihrer Mutter bekommen, bekannte sie darauf angesprochen - "das ist so geblieben". Soweit es die Augen noch mitmachen, liest sie auch heute noch gern. Nachdem vor einigen Wochen die Bücher schon in das alte Klassenzimmer im Erdgeschoss eingeräumt und regelmäßige Öffnungszeiten eingeführt wurden, habe sie sich schon "Wälzer" ausgeliehen. "Bloß es kamen keine Leute", meinte die Seniorin, die deshalb riet, die Werbetrommel zu rühren. Und diese Idee griffen die Gemeinde und Rosel Müller, die die Betreuung ehrenamtlich übernommen hat, mit der Eröffnungsfeier auf.
"Wer liest, hat mehr vom Leben", meinte Gemeinderat Ernst Franke, der sich mit vielen anderen Helfern um die Einrichtung der Bibliothek gekümmert hat. Er fand, dass diese Einsicht in Güntersberge wieder vielen großen und kleinen Lesern vermittelt werden muss. Die Güntersberger Stadtbibliothek gehörte dank des Engagements der früheren Leiterin Liane Schober einmal zu den besten im Landkreis, erinnerte Franke. Als die Stadt irgendwann nach der Wende kein Geld mehr hatte, wurde die Bibliothek geschlossen. Die 8 000 Bücher fristeten in Kisten und Kartons und ohne Heizung ein trauriges Dasein. "Man kann auch am falschen Ende sparen", erkannten die Güntersberger schließlich.
Die Grundschullehrerin Rosel Müller erklärte schließlich ihre Bereitschaft, nach dem Eintritt in den Ruhestand die Ausleihe zu übernehmen. Eigentlich sollte die Bibliothek in das Bürgerhaus einziehen, doch weil die Ausleihe in der ersten Etage als ungünstig angesehen wurde, kam Kurt Kipper schließlich auf die Idee, die alte Schule zu nutzen. Die Stadt wollte die Schule zwar schon einmal verkaufen, doch weil es keinen Käufer gab, wurde eine erneute Nutzung möglich. Eine Reihe von Rentnern übernahm die ersten Reparaturen an den Fenstern und Malerarbeiten. Ein Waschbecken wurde organisiert, das Berghotel sponserte Sitzgelegenheiten und Reinigungsgeräte, Ernst Franke brachte den Wischtopf mit und Jens Breitenbach schenkte seinen alten Computer der Bibliothek.
Ein Logo in Form eines Bücherwurms wird gegenwärtig noch erarbeitet und soll künftig das Sparschwein "Jolante" schmücken. Die Ausleihe wird nämlich kostenlos sein, doch für neue Bücher ist schließlich etwas Geld nötig. Neueste Errungenschaft sind die vier Harry-Potter-Bände. Inge Bietz, Chefin der Kreisbibliothek, sicherte Hilfe über den Kreisergänzungsbestand zu, das sind neue Bücher, die für bis zu sechs Monate den Stadt- und Gemeindebibliotheken kostenlos zur Verfügung stehen.
Liane Schober würdigte das Engagement von Ernst Franke und Rosel Müller und Franke unterstrich "es kommt nicht unbedingt auf die Haushaltsmittel an, sondern dass sich Leute zusammenfinden und sagen, das wollen wir machen". Die Bibliothek ist mittwochs von 16 bis 18 Uhr geöffnet.
Ziel der Güntersberger ist es nun, auch die anderen drei Klassenräume wieder zu beleben. Der Eisenbahnfreund Jens Breitenbach will eine Modellbahnanlage zur Verfügung stellen, der Ortschronist Walter Garscha und die Lehrerin Rosel Müller haben alte Schulgegenstände, die ausgestellt werden können und der Harzclub und der Förster haben laut Franke Interesse bekundet, ebenfalls einen Raum zu gestalten. Aufgrund fehlender Gelder wollte sich Franke jedoch noch nicht auf einen Zeitplan festlegen. Sponsoren werden noch gesucht - übrigens auch ein Staubsauger und eine Bohnermaschine für Harry Potters neues Heim in Güntersberge.