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Nordharzer Städtebundtheater Nordharzer Städtebundtheater: Ein in zwei Tönen gesungenes Lexikon

Von Sigrid Dillge 26.01.2004, 16:32

Quedlinburg/MZ. - Sie ist Musik über die Musik. Das Publikum erhält gleichsam eine musikalische Vorlesung und erfährt, was die Merkmale verschiedener Typen von Arien sind, welche Aufgaben und Charaktere die einzelnen Sänger haben, woher die Gestaltungsmittel stammen. Alles entnommen dem altehrwürdigen Musiklexikon von Hugo Riemann, Sachteil, Seite... Das ist, was der Komponist vorschreibt. Was er jedoch offen lässt, ist der Ort des Geschehens, die Handlung.

Am Nordharzer Städtebundtheater packt Renate Zürn in ihrer ersten eigenen Inszenierung das Ganze in eine Art Heim für alternde, einsame Künstler. Inmitten plüschiger Sessel und Sofas, am mit Spitzendeckchen geschmückten Tisch entwickelt sich ein Kaffeeklatsch der besonderen Art. Da wird doziert und gestritten, geflirtet und intrigiert was das Zeug hält.

Ganz menschlich und wenig wissenschaftlich, aber jede Menge Spaß garantierend. Den Sängern ist dieser sehr deutlich anzumerken. Vor allem der Primadonna (Gerlind Schröder) und dem Bariton (Norbert Zilz) gelingt es hervorragend, sowohl stimmlich als auch schauspielerisch zu überzeugen. Gabriele Rösel als Primadonna assoluta ist ihnen ebenbürtig und der Tenor (Paul Batey) beweist, dass er nicht nur singen, sondern auch ausgezeichnet tanzen kann. Einfach herrlich sind die Szenen, in denen der Bariton vor Wut geradezu schäumt, in denen der Tenor an Atemnot zu ersticken droht, die Primadonna Zuflucht beim Pianisten sucht oder die Primadonna assoluta als muntere Naive über die Bühne hüpft.

Fast ungeahnte schauspielerische Fähigkeiten legt Orchesterchef Johannes Rieger an den Tag, der nicht nur die musikalische Leitung des Stückes hat, sondern zugleich auch als Pianist einen gewichtigen Part gestaltet. Mit wirrem Haupthaar erträgt er die Attacken der Sänger, bleibt galant und holt nur in äußersten Verzweiflungsfällen zu einem kurzen Gegenschlag aus.

Diesen vorgegebenen Figuren hat Renate Zürn eine weitere hinzu gefügt: den Pfleger. "Snoopy" Volker Reichenbecher, Leiter des künstlerischen Betriebsbüros, weiß diesen Pfleger überzeugend zu spielen, erntet so manchen Lacher, wenn er lampenschwingend die Baccarole verdeutlicht oder als gleichnishafter Schwan der Primadonna assoluta erscheint.

Dem Nordharzer Städtebundtheater gelang eine überzeugende Umsetzung der minimalistischen Riemannoper und bietet dem Publikum zwei wie im Fluge vergehende Stunden Unterhaltung. Die beste Gelegenheit für Opernfreunde, die Theorie des Genres zu erkunden, und die beste Gelegenheit für alle Nichtkenner, sich neues Terrain zu erobern.

Nordharzer Städtebundtheater, "Riemannoper", nächste Vorstellung 30. Januar, 19.30 Uhr in der Kammerbühne Halberstadt.