Studentin als Lehrerin Marie-Louise Berthold unterrichtet am Stephaneum Aschersleben: Studentin als Vertretungslehrer

Aschersleben - Jeden Morgen schultert Marie-Louise Berthold ihre Tasche und macht sich auf den Weg ins Gymnasium Stephaneum. Dort unterrichtet sie in den fünften und sechsten Klasse Deutsch. Doch die 24-Jährige ist keine Lehrerin. Noch nicht.
Sie ist Lehramts-Studentin an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena in den Fächern Biologie und Deutsch. Dass sie trotzdem schon als Lehrerin arbeitet, verdankt sie einem Programm des Landesschulamts Sachsen-Anhalt, das befristete Einstellungen von Studenten als Vertretungslehrer ermöglicht, wenn diese das sechste Semester innerhalb ihres Lehramtstudiums bereits beendet haben.
Lehramts-Studentin Marie-Louise Berthold aus Jena unterrichtet Biologie und Deutsch
Denn auch am Stephaneum geht das Thema Lehrermangel nicht spurlos vorbei. Kommen dann noch Langzeiterkrankungen von Pädagogen hinzu, wird die Situation noch prekärer und es droht Unterrichtsausfall.
Und so ergreift das Gymnasium die Chance und arbeitet mit Studenten zusammen, wenn es fächertechnisch passt. Marie-Louise Berthold vertritt eine für längere Zeit erkrankte Kollegin. „Ich kenne das Stephaneum schon, weil ich hier im Rahmen meines studentischen Eingangspraktikums bereits 320 Stunden geleistet habe“, sagt die Studentin, die ihr Abitur in Hettstedt gemacht hat.
Nun ist sie - zumindest auf Zeit - für eine Klasse verantwortlich und übernimmt die Aufgaben einer Lehrerin. „Und das ist schon sehr herausfordernd. Man muss sich ja auch erstmal den Respekt der Kinder erarbeiten. Aber es macht Spaß und bekräftigt meinen Wunsch, als Lehrerin zu arbeiten.“
Auch Rentner, die aus dem Schuldienst ausgeschiedenen sind, können wieder als Lehrer arbeiten
Nicht nur Lehramtsstudenten können als befristete Vertretungslehrer an Schulen arbeiten. Auch Rentner, die bereits aus dem Schuldienst ausgeschiedenen sind oder Absolventen der Lehramtsstudiengänge, die den Zeitraum zwischen ihrem Universitätsabschluss und dem Beginn des Vorbereitungsdienstes überbrücken wollen, kommen in Frage, bekräftigt das Landesschulamt.
Am Stephaneum arbeiten 65 Lehrer und eine Referendarin. Sie kümmern sich um die 744 Schüler in 32 Klassen. Damit liegt die Unterrichtsversorgung bei 98,86 Prozent. Eine Unterrichtsversorgung von 100 Prozent bedeutet formal, dass genau die Mindestzahl an Lehrkräften vorhanden ist, die erforderlich ist, um die Pflichtstunden abzudecken.
Berücksichtigt ist dabei nicht, dass Lehrer auch mal krank werden, an Fortbildungen teilnehmen oder auf Klassenfahrten gehen. Deshalb halten es Experten für realistisch, eine Krankheitsreserve von mindestens 2,5 Prozent einzuplanen.
Am Stephaneum gibt es keine Personalreserven, sollte ein Lehrer krank werden
Diese Reserve gibt es am Stephaneum nicht, bedauert der stellvertretende Schulleiter Axel Wieczorek: „Momentan können wir - auch durch Mehrarbeit von Kollegen - halbwegs alles abdecken. Im kommenden Jahr werden bei Nichteinstellung erhebliche Probleme entstehen, da sieben Kollegen im laufenden oder zum Ende des Schuljahres in Rente gehen.“
Auch dann werde sich das Gymnasium wieder um Vertretungslehrer bemühen müssen oder auf geeignete Quereinsteiger hoffen, wenn die Stellen nicht durch voll ausgebildete Lehrer besetzt werden können.
Die ganze Debatte um unbesetzte Stellen an Schulen hat Marie-Louise Berthold aber nicht die Lust auf den Lehrerberuf genommen. „Ich habe am Stephaneum tolle Kollegen und hoffe, dass ich nach dem Studium dort auch arbeiten kann.“
Sieben Pädagogen werden im Laufe des Schuljahres am Stephaneum in Rente gehen
Der Lehrermangel ist ein landesweites Problem - und das nicht erst seit gestern. Wie am Dienstag bekanntgegeben wurde, wollen in Sachsen-Anhalt Eltern, Schüler und Gewerkschafter mit einer Initiative ein Volksbegehren gegen den Lehrermangel starten. Das Bündnis wirft der Landesregierung vor, zu wenig gegen das Problem zu tun. Bei einem Volksbegehren haben Bürger die Möglichkeit, die Gesetzesinitiative zu ergreifen. Der Landtag kann über diesen Weg dazu gebracht werden, über einen Gesetzentwurf zu beraten.
Einem Gutachten zufolge muss Sachsen-Anhalt bis 2030 pro Jahr rund 730 Lehrerinnen und Lehrer einstellen. Zuletzt hatte das Land von 900 ausgeschriebenen Stellen nur ein Drittel besetzt. (mz)