Landarzt in Westerhausen Landarzt in Westerhausen: Diagnosen beim Abendbrot
Westerhausen/MZ. - "Manch einem fällt eben auf den letzten Drücker noch ein, das er was braucht", erklärt der 65-Jährige. Dabei tut Eile gar nicht Not. Denn den Westerhäusern ist etwas widerfahren, was Bürgermeister Eberhard Heintze einen "Fünfer im Lotto" nennt, als er sich mit einem Blumenstrauß und einem Baumarkt-Gutschein bei den Beiers bedankt. In Sachsen-Anhalt, und nicht nur hier, sterben die Landarzt-Praxen. "Die Leute sagen nur, kümmere dich, dass wir einen neuen Doktor kriegen", weiß Heintze, "doch es gibt keinen Rechtsanspruch darauf." Dennoch ist dem umtriebigen Ortschef gelungen, den Arzt im Dorf zu halten.
Eigentlich hätte Wolfgang Beier, der im Februar 1965 als 27-Jähriger aus der Colbitz-Letzlinger-Heide nach Westerhausen kam, schon im Dezember, zum 65. Geburtstag, aufhören wollen: "Doch der Bürgermeister hat mich gebeten, noch ein halbes Jahr weiter zu machen." Viel zu überlegen gab es da nicht. Denn erst zum 1. Juli kann der Nachfolger seinen Job antreten. Beier hat es gern getan. Denn er liebt seine Patienten, sein Dorf. Mit den meisten ist er alt geworden. Von den 800, die im Quartal in die Praxis kamen, sind 80 Prozent über 60.
So mancher Westerhäuser kam in seinen Armen zur Welt, weil es die Mutter nicht mehr in die Klinik schaffte, rund 1 000 Dorfbewohner "habe ich mit unter die Erde gebracht", sagt Beier spitzbübisch. "Ein ganz natürliches Ergebnis." Mit einem Drittel der Einwohner ist er per Du. Ein Landarzt wie im Fernsehen? "Guck ich nicht, ich habe hier Fernsehen hautnah." Kein Wunder, dass er zu jedem Grabstein auf dem Westerhäuser Friedhof die Familiengeschichte erzählen kann. Wobei: "Meine Frau ist da noch besser, die kennt auch weit verzweigte Verwandtschaftsverhältnisse. Und das ist manchmal wichtig."
Ingrid Beier ist eigentlich gelernte Großhandelskauffrau, hat aber schon in den 60er Jahren eine Fortbildung zur Schwester gemacht und später noch Ökonomie studiert. "Das war alles vor allem nach der Wende von Nutzen", erinnert sich die Sprechstundenhilfe. Gestritten haben sich die Beiers nach eigenem Bekunden übrigens nie: "Es war klar geregelt, in der Praxis war ich Chef, zu Hause sie", sagt der Allgemeinmediziner. Feierabend gab es im klassischen Sinn jedoch nicht - selbst am Abendbrotstisch wurden noch Diagnosen besprochen.
Feierabend soll aber auch jetzt noch nicht gänzlich sein, sagt Beier. Er gebe ja nur seine kassenärztliche Zulassung zurück. "Ansonsten werde ich noch Kleinigkeiten pfuschen, wie ein Handwerker eben." Und dann ist da noch das Haus in der Feldstraße, in dem sich auch die Praxis befindet. "Das muss komplett renoviert werden." Da kommt der Baumarkt-Gutschein von der Gemeinde gerade richtig. Ob da noch Zeit für das liebste Hobby des Doktors - Radfahren - bleibt?