Handwerk Handwerk: Wo Hobelspäne zur gefeierten Reliquie werden
Thale/MZ. - "Freihobeln" wird die feierliche Zeremonie von den Fachleuten genannt. Vor drei Jahren hat die Tischler-Innung Harzland das alte Ritual wieder entdeckt. Seitdem krönt es die so genannte Freisprechung der neuen Gesellen. Selbst jene 15 Lehrlinge, die den vierteiligen Prüfungskomplex erfolgreich überstanden, mit Gesellenstück und Arbeitsprobe glänzten, "erhalten den Gesellenbrief erst, wenn sie mindestens dreimal über das Holz gehen", hatte Tischlermeister Friedrich Bremert - seit zehn Jahren Chef der Prüfungskommission - vor Beginn der Freisprechung verkündet. Ein viertes Mal ging niemand übers Holz. Und mancher tat''s offenbar nicht kraftvoll genug. "Richtig draufdrücken!", ermahnten ihn die Juroren. Ein (besonders langer) Span wurde an die Blumen geheftet. Er soll "in Ehren gehalten werden", empfahlen die Meister, die mit gutem Rat nicht geizten.
"Lehrling ist ein jedermann, Geselle ist, der etwas kann, Meister ist, der was ersann", hatten sie auf einer großen Tafel klargestellt. Auch der, der etwas könne, bleibe "ein Arbeitsleben lang ein Lehrling", präzisierte der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, Klaus Bauermeister. Das jetzt attestierte Können müsse im Arbeitsalltag bewiesen werden, sagte auch Obermeister Manfred Tegtmeier, der ansonsten "glücklich" ist, dass junge Leute diesen alten Beruf gewählt haben und das Werk seiner Generation "würdig fortsetzen".
Glücklich sind auch Juri Befuß und Daniel Pollakowski. Die beiden 20-Jährigen gehörten zu den 18 Lehrlingen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz erhielten und deshalb vom Arbeitsamt an einen Bildungsträger vermittelt wurden. Und vor allem: "Die beiden haben schon Arbeit", weiß Juliane Reinhardt, Sozialpädagogin des Thalenser Bildungs- und Technologie-Zentrums (BTZ). Während mancher Geselle nach dem Freihobeln in die Arbeitslosigkeit ginge, seien ihre Schützlinge weitgehend vermittelt. Der Spätaussiedler Juri, erst zwei Jahre vor Lehrbeginn nach Deutschland gekommen, habe bei einer Hannoveraner Firma einen Job erhalten, Daniel bei einem rheinischen Trockenbau-Unternehmen. Bei den anderen beiden BTZ-Absolventen seien bereits die Weichen gestellt. Und jenen sechs Lehrlingen, die den Gesellenbrief nicht im ersten Anlauf erlangen konnten, gestattete das Arbeitsamt eine Lehrzeitverlängerung. Sie können sich in einem halben Jahr "freihobeln".