Frau lässt sich unter den Rock gucken
ASCHERSLEBEN/MZ. - "Zeelandia" ist ein wahres Schmückstück. Die Lady, die vor der Bühne auf der Herrenbreite steht, fällt in der Menge auf. Wie keine andere versteht sie es, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es sind vor allem die Herren, die ihre Blicke nicht abwenden können von ihr. Axel Jödicke alias Orgel-Atze ermuntert die Herrschaften, näher zu treten: "Hier dürfen sie einer fremden Frau unter den Rock gucken." Seine eigene, Roswitha, ist ganz und gar nicht eifersüchtig ob der Beachtung, die ihrer "Nebenbuhlerin" geschenkt wird. "Na, sie ist unser kleiner Wachmacher." Roswitha Jödicke oder Rollen-Riecke schmunzelt, wie die MZ-Mitarbeiter zusammenzucken, als "Zeelandia" so richtig in Fahrt kommt. Nicht nur größer ist sie als ihre Schwestern, sondern auch lauter.
"Zeelandia" ist eine Tanzorgel, so eine, wie früher auf Jahrmärkten zum Einsatz gekommen ist. "Da hat sie in der Mitte vom Karussell gethront", erzählt Rollen-Riecke, die ursprünglich aus Berlin stammt. Mit ihrem Mann ist sie an diesem Wochenende aus Ratingen im Rheinland nach Aschersleben zum Drehorgelfestival auf der Landesgartenschau gekommen. Das Schöne an der Tanzorgel: "Die Menschen stehen dahinter. Die Orgel lässt sich öffnen. Ist die Klappe auf, kann man die ganze Technik sehen", so Jödicke weiter. Die mit Elektromotor und Druckluftpneumatik betriebene "Zeelandia" könne über das große Schwungrad auch von Hand bedient werden. "Aber es ist anstrengend, die Geschwindigkeit zu halten. Und dann noch die Höhe dazu", weiß die Ratingerin. Viel kleiner die Zungenorgel, die ihr Mann im nächsten Moment auspackt: "Sie hat 20 Tonstufen und klingt wie ein Akkordeon, dazu singen wir."
Die Besucher stimmen mit ein. Karin Helmholz geht mit den Musikern mit. "Ich bin erst seit ein paar Minuten hier und habe bei ,Hoch auf dem gelben Wagen' schon mitgesungen", sagt die Ascherslebenerin, die es sich nicht nehmen lässt, die Drehorgelspieler um ein Autogramm zu bitten. Die Jödickes sind nicht die Einzigen, die das Gelände "unsicher" machen.
Drüben im Bestehornpark, direkt neben der Orangerie, spielt das Drehorgel-Orchester Harzland. Im Gepäck hat es so scheinbar drehorgeluntypische Lieder wie Drafi Deutschers "Marmor, Stein und Eisen bricht", "Mamma Mia" von Abba oder "Sag mir quando, sag mir wann". Dass die Orgeln aufeinander abgestimmt seien und dass man diese Musik mit einer oder zweien allein gar nicht spielen könne, lassen sie die Umstehenden wissen. Mitten auf der Herrenbreite haben sich indes gleich zwei Duos breitgemacht. Eines davon ist Hammers Drehorgelband Romantica aus Altenkrichen im Westerwald, die nicht "nur" Drehorgeln dabei hat. Denn Hans Hammer "spielt fast alle Blasinstrumente", begleitet seine Frau Gertrud nur zu gern auf dem Schweizer Büchel - einer Holztrompete -, Mundharmonikas oder der Panflöte. "Da sind wir wohl die Einzigen in der Szene", ist Hammer überzeugt. Wie von seiner Philosophie: "Drehorgelmusik ist Medizin. Wer die hört, wird alt."
Außerdem verbinde sie die Menschen und trage zu ihrer Erheiterung bei: "Wir Drehorgelspieler sind Freudenspender", meint Günther Sickenberg. Man glaubt es ihm nur zu gern, weicht dem Mann aus Münster das Lächeln nicht aus dem Gesicht. Er macht seine Späßchen; verteilt kleine Schornsteinfeger: "Wenn man drauf pustet, bringen sie Glück", zaubert er einen aus seiner Tasche hervor, ehe er das Band aus seiner Notenband-Orgel nimmt. "Jedes Loch ist ein Ton", rollt er es ein Stück weit auf. Dann lässt er seinen Blick über die vielen kleinen beschrifteten Kartons schweifen, in denen die Notenbänder verstaut sind, und entscheidet sich für "Die Fischer von San Juan", einen vergleichbar "modernen" Titel, denn er und seine Frau Agnes sind "sehr für Volkslieder, damit das Volksliedgut nicht untergeht", sagt er, rückt seinen roten Zylinder zurecht und beginnt das zu tun, was ein Drehorgelspieler nun mal tut: "Nostalgie verbreiten wie vor 200 Jahren, als es noch keinen Strom gab, und den Menschen Freude bringen."