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Rudolf Christian Böttger aus Aschersleben Erfindung der Sicherheitszündhölzer ist eine Legende

John Walker gilt als Erfinder der modernen Streichhölzer. Um in den Besitz des Patents zu gelangen, erwarb Böttger es von Carl Friedrich Kuhn aus Ulm.

Von Wolf-Dieter Ostermann 09.05.2021, 13:00
Das Elternhaus von  Rudolf Christian Böttger am Stephanikirchhof  in Aschersleben.
Das Elternhaus von Rudolf Christian Böttger am Stephanikirchhof in Aschersleben. Foto: Frank Gehrmann

Aschersleben - Der Wunsch, überall und jederzeit Feuer machen und unterhalten zu können, ist ein alter Menschheitstraum. Schon im 18. Jahrhundert haben es die Chemiker geschafft, mit Feuer und Flamme ablaufende Reaktionen nutzbar zu machen. Es war jedoch ein langer Weg bis zum modernen Sicherheitszündholz und dieser ist mit zahlreichen Namen aus vielen Ländern verbunden.

In unzähligen biografischen Arbeiten wird der aus Aschersleben stammende Rudolf Christian Böttger als Erfinder der Sicherheitszündhölzer genannt. Der Vorgang wird dabei regelmäßig ins Jahr 1848 gelegt. Versucht man, dieses Datum mit Dokumenten zu belegen, stößt man auf ein unlösbares Problem: Es gibt keinen schriftlichen Beleg für eine entsprechende Aktivität Böttgers aus dem genannten Jahr, nur seine wiederholte, aber nicht belegte eigene Aussage.

Die Geburtsstunde des modernen Zündholzes, wie wir es heute kennen und nutzen, schlug 1826 in dem englischen Städtchen Stockton-on-Tees, als John Walker ein geschwefeltes Holzstäbchen, das an einem Ende mit einem Gemisch aus Kaliumchlorat und Antimonsulfid überzogen war, unter Druck zwischen zwei Schichten Sandpapier entlangzog. Dabei entzündete sich das Gemisch – allerdings nicht sehr zuverlässig.

Der Engländer John Walker gilt als Erfinder der modernen Streichhölzer

Die erste entscheidende Weiterentwicklung vollzog 1830 der Franzose Charles Sauria, der das Antimonsulfid in der Walkerschen Mischung durch weißen Phosphor ersetzte. Die durch ihn initiierte Ära der Phosphorzündhölzer war sehr erfolgreich und dauerte bis zum Verbot der Verwendung von weißem Phosphor zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Die niedrige Entzündungstemperatur des weißen Phosphors machte eine besondere Reibfläche überflüssig, was zu ihrer raschen und massenhaften Verbreitung führte. Man kennt die Szene aus Westernfilmen, wenn der Held sein Zündholz lässig an einer Wand oder am Stiefelschaft entzündet.

Allerdings hatten die Phosphorzündhölzer zwei schwerwiegende Nachteile: Zum einen kam es durch die leichte Entzündbarkeit vielerorts zu ungewollten Entzündungen; Brände waren an der Tagesordnung. Zum anderen ist weißer Phosphor eine hochgiftige Substanz; das ständige Einatmen von Phosphordämpfen bei der Herstellung der Zündhölzer führt über die Aufnahme durch geschädigte Zähne zur Zerstörung des Unterkiefers („Phosphornekrose“).

Eine ganze Generation von Chemikern arbeitete daher daran, durch Behandlung des Holzstäbchens („Draht“), durch Veränderung der Zusammensetzung des Zündkopfes den prozentualen Anteil des weißen Phosphors in der Zündmasse zu senken, um dadurch die beschriebenen Nachteile zu vermindern. Dazu gehörte Rudolf Christian Böttger, der 1841 und 1843 zwei Arbeiten über Phosphorzündhölzer veröffentlichte. Das grundsätzliche Problem, eine feuergefährliche und giftige Substanz zu verarbeiten und in den Handel zu bringen, blieb damit aber unbewältigt.

Ziel vieler Chemiker: Weniger weißen Phosphor, der sich leicht selbst entzündete

Die Verbindung von leichter Entzündbarkeit und gefahrloser Handhabung bedurfte einer grundsätzlich neuen Lösung. Diese kam sowohl vom gedanklichen Ansatz als auch von der praktischen Umsetzung her aus Stockholm, weshalb es seine volle Berechtigung hat, Schweden als das Mutterland der modernen Zündhölzer zu bezeichnen.

Der „Übervater“ der Chemie des 19. Jahrhunderts, Johann Jacob Berzelius, hatte 1840 den Begriff der Allotropie eingeführt, um die Zugehörigkeit zu einem chemischen Element zu kennzeichnen, wenn es in ungleichen Zuständen mit verschiedenen Eigenschaften auftritt. Das bekannteste Beispiel sind Diamant und Graphit als allotrope Zustände des Elements Kohlenstoff.

1842 wandte er diesen Begriff auf den unter bestimmten Bedingungen entstehenden roten Phosphor an, indem er weißen und roten Phosphor (der bis dahin als eine Sauerstoffverbindung des Phosphors, Phosphoroxid, angesehen wurde) als allotrope Zustände des Elements Phosphor betrachtete.

Nun hatte der genannte Berzelius einen Mitarbeiter gehabt, mit dem er noch in Verbindung stand, der inzwischen aber Angestellter in einer chemischen Fabrik zur Herstellung von „Schwefel- und anderen Zündhölzern“ war: Gustaf Erik Pasch. Beim Experimentieren mit dem roten Phosphor stellte er fest, dass er sich bei Berührung mit der Walkerschen Zündmasse sofort entzündet, obwohl er für sich allein kaum entzündbar ist.

Das brachte ihn auf die geniale Idee, die Zündmischung aus Kaliumchlorat plus Antimonsulfid und den roten Phosphor voneinander zu trennen, indem man den Phosphor in die Reibfläche einarbeitet. Auch auf die Frage „Wohin mit der Reibfläche?“ fand Pasch eine sehr befriedigende Antwort:

Indem er sich erinnerte, dass Samuel Jones, einer der Nachfolger des oben genannten John Walker, seine sogenannten Lucifers in Pappschachteln verkauft hatte. Was lag da näher, als diese Reibfläche außen an der Zündholzschachtel aufzubringen?

Mit Einbindung des roten Phosphors in die Reibfläche entstanden sichere Zündhölzer

Mit der Einbindung des roten Phosphors in die von der Zündmasse getrennte Reibfläche konnte eine völlig neue Art von Zündhölzern geschaffen worden, die zu Recht den Namen Sicherheitszündhölzer erhielt und die in ihrer erfinderischen Leistung ausschließlich mit dem Namen Gustaf Erik Pasch verbunden ist. Am 7. November 1844 erhielt er darauf ein schwedisches Patent für die Dauer von acht Jahren.

Eine Erfolgsgeschichte für das Unternehmen von J. S. Bagge in Stockholm wurden die „Patentierten Zündhölzer ohne Phosphor“ nicht. Das lag aber nicht daran, dass das Verfahren nicht tauglich war, sondern vielmehr daran, dass die Zeit dafür noch gar nicht reif war: Es gab überhaupt noch kein Verfahren, um den roten Phosphor in großen Mengen herzustellen. Das bedurfte der Vorarbeit von Anton Schrötter in Wien und zog sich bis in die frühen 1850er Jahre hin. Erst danach erfolgte die Produktion von rotem Phosphor im technischen Maßstab.

Patentierte Zündhölzer ohne Phosphor.
Patentierte Zündhölzer ohne Phosphor.
repro: gehrmann

Warum sich Böttger seine angebliche Erfindung aus dem Jahr 1848 nicht patentrechtlich schützen lassen? Die Antwort findet sich möglicherweise in einem wenig beachteten Patent („Privileg“) von Carl Friedrich Kuhn aus Ulm zu Sicherheitszündhölzern. Dieser meldete die Erfindung, Reibfeuerzeuge aller Art zu erzeugen, deren Zündmasse keinen Phosphor enthält und deren Entzündung nur auf einer eigens dazu bereiteten Reibfläche erfolgen kann am 10. März 1847 als Patent für das Königreich Württemberg und am 11. März 1847 als Privileg für die k. k. Monarchie Österreich an.

Böttger erwarb 1850 das Privileg von Kuhn, als der seine Aktivitäten aufgab

Nun gehörten sowohl die Freie Stadt Frankfurt als auch das Königreich Württemberg dem Deutschen Zollverein an, und für diesen galt seit 1842, dass die Patentanmeldung für ein und denselben Gegenstand in einem zweiten Zollvereinsstaat nicht möglich war.

Das bedeutet, falls Böttger 1848 die gleiche Erfindung wie Carl Friedrich Kuhn gemacht hätte, so hätte er sie in Frankfurt am Main gar nicht als Patent anmelden können. Um trotzdem in den Besitz eines Privilegs zu den Sicherheitszündhölzern zu kommen, erwarb Böttger das Privileg von Carl Friedrich Kuhn, als dieser 1850 seine Zündholzaktivitäten in Ulm vollständig aufgab.

Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Veröffentlichungen von Rudolf Christian Böttger zu einer von ihm getätigten Erfindung der Sicherheitszündhölzer im Jahr 1848 lassen sich nicht belegen. Gesichert sind dagegen patentrechtliche Absicherungen einer entsprechenden Erfindung aus dem Jahr 1844 für Gustaf Erik Pasch sowie aus dem Jahr 1847 für Carl Friedrich Kuhn. Die Legende, Rudolf Christian Böttger sei der Erfinder der Sicherheitszündhölzer, lässt sich daher schwerlich aufrechterhalten – trotz entsprechender Aussagen von ihm selbst. (mz)