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Enttäuschte Trauer einer Mutter Enttäuschte Trauer einer Mutter: Blumenschmuck am Straßenkreuz wird gestohlen

Von Kerstin Beier 12.11.2014, 17:47
Der Schmerz bleibt, sagt Birgit Hüttepohl. Auch acht Jahre nach dem Unfall, der ihre damals 18-jährige Tochter Katja aus dem Leben riss.
Der Schmerz bleibt, sagt Birgit Hüttepohl. Auch acht Jahre nach dem Unfall, der ihre damals 18-jährige Tochter Katja aus dem Leben riss. Frank Gehrmann Lizenz

Aschersleben - Das schlichte Holzkreuz am Straßenrand zwischen Friedrichsaue und Hausneindorf erinnert Birgit Hüttepohl an den schlimmsten Tag ihres Lebens. An den Tag im Juni 2006, als sie ihre 18-jährige Tochter bei einem Verkehrsunfall verlor. Auf dem Weg zur Arbeit im Schloss Hoym passiert sie die Stelle, an der ihr Kind gestorben ist, fast täglich. Das Kreuz soll sie erinnern. Sie möchte das so.

Am 30. Oktober wäre die junge Frau 27 Jahre alt geworden. Ihre Mutter stellte eine Schale mit frischen Blumen an die Unglücksstelle. Zwei Tage später war das Gebinde fort. Gestohlen. Eine Tatsache, die die 47-Jährige fassungslos macht. Es geht ihr nicht ums Geld, betont sie. So eine Schale lässt sich problemlos ersetzen. Aber gibt es wirklich Leute, die nicht erkennen, welchen ideellen Wert Blumenschmuck an Orten der Trauer hat? Die sich an solchen Blumen erfreuen können? Birgit Hüttepohl kann Menschen nicht verstehen, „die keinen Respekt vor der Trauer anderer aufbringen können.“ Für solche Art von Skrupellosigkeit findet sie nur eine Erklärung: „Weil die Leute keine Ahnung haben.“

Auch auf den Friedhöfen ist Diebstahl von Blumenschmuck und Grabutensilien ein Thema. Das bestätigt Holger Dietrich, Bereichsleiter beim Bauwirtschaftshof Aschersleben. „Wir haben leider immer wieder damit zu tun.“

Beziffern könne man die Vorfälle allerdings nicht, weil nicht alle Diebstähle gemeldet werden. Auch eine Kontrolle sei schwierig. „Wir können ja nicht wahllos verdächtigen, wenn sich jemand an einem Grab zu schaffen macht.“

Keine Ahnung davon, wie es ist, wenn sich das Leben von einer Sekunde auf die andere vollkommen verändert. „Sein Kind beerdigen zu müssen, ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Und wie viele Jahre auch vergehen; der Schmerz verändert sich, aber er hört nie auf“, sagt sie und spricht davon, dass sie mit dem Gedanken an die verlorene Tochter morgens aufwache und abends damit schlafen gehe.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie es zu dem tragischen Unfall kam.

Ihre Katja hatte damals, am 11. Juni 2006, eine Arbeitskollegin aus Cochstedt nach Hause gefahren. Auf dem Weg zurück nach Wedderstedt, wo die Familie damals wohnte, ist es passiert: In einer leichten Linkskurve kurz hinter dem Abzweig nach Gatersleben kam das kleine grüne Auto der Fahranfängerin von der Fahrbahn ab und landete an einem der Bäume, die damals dort noch standen. Das junge Mädchen hatte keine Chance. Noch heute hat ihre Mutter das Bild vor Augen, das sich ihr an der Unfallstelle bot. „Ich fühlte mich wie in Watte“, beschreibt sie und schildert ihre Tochter, die eine Lehre im „Bären“ in Quedlinburg machte, als lebenslustiges Mädchen, mit der die ganze Familie oft lachen konnte. „Ich höre heute noch ihre Turnschuhe auf dem Parkett“, sagt sie.

Am Tag nach der Beerdigung der Tochter wurde Birgit Hüttepohl 39 Jahre alt. Ihren Geburtstag feiert sie heute nicht mehr so wie früher. Sie fährt lieber weg an diesem Tag. Jahrelang konnte sie das Zimmer von Katja nicht ausräumen, deren Lieblingsgerichte nicht kochen. Ihr Sohn, damals 16, musste schnell erwachsen werden. Die damalige Beziehung zu einem Mann aus Gernrode ist zerbrochen. Birgit Hüttepohl suchte Hilfe bei einem Seelsorger, war in psychologischer Behandlung. Heute sagt sie, sie habe sich verändert; es gäbe für sie nur noch ein Ja oder Nein. Was früher wichtig war, findet sie heute unbedeutend. Dankbar ist sie ihrer Familie - ihrem Sohn, ihrer Mutti und ihren Geschwistern. „Ohne sie würde es mir heute noch schlechter gehen“, ist sie überzeugt.

Weil sie weiß, wie sich andere Eltern fühlen, die ein Kind verloren haben, hat sie vor vier Jahren eine Selbsthilfegruppe „Verwaiste Eltern“ mitgegründet. „Wirklich helfen kann einem jedoch keiner“, sagt sie.

Aber die Blumen am Ort des Gedenkens - die sollten doch wohl stehen bleiben. (mz)

Birgit Hüttepohl kommt regelmäßig an die Unfallstelle.
Birgit Hüttepohl kommt regelmäßig an die Unfallstelle.
Frank Gehrmann Lizenz