Aschersleben Aschersleben: Speicher mit Geschichte
aschersleben/MZ. - "Es ist einfach von jeder Ecke aus zu sehen", nickt die junge Frau, die 2009 ihre Diplomarbeit über den seit Jahren leerstehenden Getreidespeicher geschrieben hatte.
Der ist aus rotem Backstein und trägt noch die Aufschrift "Centrale Genossenschaft Halle-Saale". "Doch das ist nur die äußere Hülle", weiß Sylvia Mertin. "Das Innere ist vom Fundament bis unter die Dachkrone komplett aus Stahlbeton."
Ein typischer Reichstypenspeicher-Bau eben. Errichtet von 1939 bis 1941 - von Regierungsbaumeister Paul Schaeffer-Heyrothsberge und einer Baufirma aus Magdeburg. "Damals wurden in Deutschland Tausende solcher Speicher gebaut, zur Verpflegung des Heeres und der Bevölkerung, an verkehrstechnisch wichtigen Punkten", weiß Sylvia Mertin, die umfangreiche Bauakten über das Anwesen gefunden hat. "Doch kurz vor seiner Fertigstellung wurde es aus der Liste der wichtigsten Kriegsbauten entfernt."
Natürlich wurde das direkt an der Bahn liegende Gebäude trotzdem als Getreidespeicher genutzt. Doch das seit 1886 existierende Grundstück selbst hatte eine wechselvolle Geschichte. Es gehörte zuerst dem Zimmermann F. G. Simon, der dort ein Holzlager hatte. Das alte Wohnhaus aus dieser Zeit existiert noch. 1939 wurde das Gelände von der "Centralen Genossenschaft Halle-Saale" übernommen, aus dem Familienbetrieb eine Einrichtung mit überregionaler Nutzung gemacht.
Sylvia Mertin ist bei ihren Recherchen auf einen ehemaligen Mitarbeiter und einen Betriebsleiter gestoßen. Die erzählten ihr, dass der Speicher zu DDR-Zeiten als Umschlagssilo genutzt wurde. Getreide, das mit der Bahn ankam, wurde hier auf Lkw verladen und umgekehrt. Geliefert wurden Gerste, Roggen, Mais, Weizen, Hülsenfrüchte, wie Erbsen und Bohnen, oder Ölfrüchte, wie Raps. "Der Großteil davon stammte aus der näheren Umgebung, aber es kamen auch Waren - wie Sojaschrot - aus Übersee", weiß die Architektin und nennt als Hauptabnehmer Mühlen und Mischfutterwerke.
"Um die Eisenbahnwaggons heranzuziehen, gab es hier eine Eisenseilwinde", zeigt die junge Frau auf die Giebelfront und die Gleise, die zum Speicher führen. Der besteht aus einem Silo- und einem Bodenspeicher, beides durch ein Maschinenhaus verbunden. Denn das angelieferte Getreide wurde durch eine Art Fahrstuhl - ein sogenanntes Becherwerk - im gesamten Haus verteilt, gewogen, gereinigt, umgelenkt, über Zuleitungsrohre in die Silos geschüttet und wieder abtransportiert.
"Die Anlagen sind alle noch da", freut sich die Architektin über das Stückchen Industriegeschichte, das inzwischen den Familien Bindewald und Gutting gehört, die die Saalemühlen Alsleben GmbH 1992 von der Treuhand übernommen haben. Doch genutzt werden die Getreidespeicher heute nicht mehr, entsprechen sie doch nicht den modernen Anforderungen an die Getreidelagerung.
Doch für die damalige Zeit waren sie äußerst modern. So gibt es im Silospeicher noch immer zwölf Zellen - die größte im Grundriss vier mal vier Meter und an die 20 Meter hoch, also vom Keller bis zum Obergeschoss. "Hier wurde das Getreide unter Luftabschluss gelagert, dafür musste es trocken sein, durfte 15 Prozent Feuchtigkeit nicht übersteigen."
Im Bodenspeicher, der aus mehreren Ebenen bestand, lag die Ware dagegen lose auf dem Boden. "Da war man viel flexibler, konnte auch Kisten oder Säcke lagern", weiß die Froserin, die das - noch immer sehr hochwertige - Gebäude als wichtigen Zeitzeugen sieht. "Es dokumentiert die örtliche Industriegeschichte und ist Vertreter der Reichstypenspeicher, von denen inzwischen schon viele abgerissen sind oder anderweitig genutzt werden."
Es sei - bis auf die aus DDR-Zeiten stammenden Maschinen und Zubringerrohre - noch nahezu vollständig im Originalzustand und baulich sehr gut erhalten. Ein eleganter Bau, nickt sie.