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Archäologie Archäologie: Erster Fingerabdruck der Welt entstand in Königsaue

Von Harald Bartzack 07.04.2019, 08:56
So wurde 1943 ein Fingerabdruck genommen.
So wurde 1943 ein Fingerabdruck genommen. Bartzack

Aschersleben - Der wohl erste deutliche Fingerabdruck der Welt wurde gar nicht weit von Aschersleben entfernt in Königsaue gefunden.

In dem Artikel über ihre Forschungsergebnisse von Dr. J. M. Grünberg in der Zeitschrift „Antiquity“ von 2002 wurden die Ergebnisse einer Radiokarbonanalyse der Funde vorgestellt und der Nachweis erbracht, dass die Neandertaler Birkenrindenpech herstellten – eine Art künstlich erzeugter Klebstoff, mit dem eine ausreichend feste Verbindung von Holz- und Steinmaterial hergestellt werden konnte.

Klebstoff war aus Birkenrinde

Das 1963 gefundene Jagdlager der Neandertaler enthielt Gegenstände, die mit diesem Klebstoff versehen waren und als Jagdwaffen oder Werkzeuge benutzt wurden.

Als typische Beispiele seien ein Schaber oder Messer, Feuersteinabschlag an einem Holzschaft oder ein Speer mit Feuersteinspitze genannt.

Im Fall von Königsaue ist auf einer dieser Klebestellen deutlich ein Fingerabdruck zu erkennen. Es muss eine Seite des Daumens sein: der erste funktionale Fingerabdruck, entstanden vor etwa 45.000 Jahren. Die Datierungen erfolgten in Oxford und wurden mehrfach bestätigt.

Ausbildung in der Daktyloskopie

Fingerabdrücke stellen die Verbindung zu Aschersleben her. Denn an der Fachhochschule Polizei in Aschersleben werden die zukünftigen Polizisten in unterschiedlichen Fachrichtungen ausgebildet. Eine davon ist die Daktyloskopie.

Sie beschäftigt sich mit den Papillarleisten in den Handinnen- und Fußunterseiten. Sie wird in der Kriminalistik zur Identifizierung von Personen verwendet.

Fingerabdrücke auch auf Verträgen

Als Vater der Daktyloskopie gilt Sir William James Herschel, der Enkel des bedeutenden englischen Astronomen William Herschel, der den Planeten Uranus entdeckte.

Er war der erste Europäer, der Fingerabdrücke zusätzlich zur Unterschrift auf Verträgen anbringen ließ. Herschel verlangte dies erstmals am 28. Juli 1858, als er Mitarbeiter im britischen Staatsdienst in Indien war. So wie die Ursprünge der Daktyloskopie insgesamt in Indien liegen.

Der Vorschlag, dieses in der Forensik zu nutzen, kam 1880 von Dr. Henry Faulds. Durch seine Erkenntnis konnte er seine indische Haushälterin von einem untergeschobenen Diebstahl freisprechen. Das war die erste Anwendung im Erkennungsdienst.

Scotland Yard lehnte sein Konzept ab. Zunächst aus gutem Grund. Denn eines der Hauptprobleme war das Fehlen eines Klassifikationssystems, das den Vergleich von Abdrücken am Tatort mit den bereits registrierten Abdrücken praktikabel machte.

Unkompliziertes System sollte entwickelt werden

1888 wurde Francis Galton von der britischen Kolonialregierung in Britisch Indien beauftragt, ein in der Praxis unkompliziert zu verwendendes Personenerkennungssystem zu entwickeln.

Er sorgte mit einem Klassifizierungssystem mit über 40 Merkmalen und auch viel Mathematik für die praktische polizeiliche Nutzung. Sir Francis Galton gilt als der entscheidende Wegbereiter der Daktyloskopie.

Es waren dann Sir Galton und Sir Edward Richard Henry, später Polizeipräsident von London, die den Fingerabdruck als Mittel im Kampf gegen das Verbrechen einzusetzen begannen.

Siegeszug war nicht aufzuhalten

Der Siegeszug dieser wissenschaftlich begründeten Tatortanalyse war nicht aufzuhalten. Schon 1892 konnte damit ein Mordfall in Argentinien aufgeklärt werden.

Am 1. April 1903 erfolgte die Einführung der Daktyloskopie als polizeiliche Pflichtaufgabe nach englischem Vorbild in Deutschland.

Paul Koettig war von 1904 bis 1919 Polizeipräsident in Dresden und schuf die erste mit daktyloskopischen Formeln arbeitende Sammlung Deutschlands nach dem System Galton-Henry im Königreich Sachsen.

Der Landesverband Sachsen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter vergibt mittlerweile einen Paul-Koettig-Preis für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Kriminalistik oder Kriminaltechnik.

Kurioser Fall ereignete sich 1905

Ein kurioser Kriminalfall, der Eingang in die Geschichte der Daktyloskopie fand, ereignete sich 1905. Es klingt wie ausgedacht, ist aber verbürgt.

Ein Einbrecher wurde anhand eines Fingerabdrucks auf einer Glasscheibe des Verbrechens überführt und saß dafür im Gefängnis.

Mit einer Technologie, die in Magdeburg im Jahr 1905 erstmals genutzt wurde und - man mag es kaum glauben - bis heute angewendet wird: Pinsel, Rußpulver, Folie.

Den Gauner wurmte diese damals neue Art der anerkannten Tataufklärung und er sann auf Rache. Einen Zellenkollegen konnte er zu diesem Deal überzeugen.

Er beschaffte sich eine Glasscherbe und versah sie mit einem sauberen Daumenabdruck. Der Knastkollege nahm sie bei seiner Entlassung unbemerkt mit und legte diese vorsichtig bei seinem nächsten Einbruch unter Vermeidung weiterer Spuren in den Glashaufen.

Folgerichtig wurde als eindeutiger Täter der noch einsitzende Gauner ermittelt.

Findiger Kriminalist

Guter Rat war nun teuer für die Kriminalpolizisten. Einem Polizisten fiel aber zufällig auf, dass die Glasscheibe mit dem Abdruck etwas dicker als die übrigen Scherben war.

Daraufhin soll der Leiter der Untersuchung in einem freundlichen Gespräch mit dem einsitzenden Gauner dessen Geständnis zu dem Deal bekommen haben.

1952 als Beweiswert zugelassen

Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 11. Juni 1952 erkannte die Rechtsprechung den Beweiswert der Daktyloskopie im Strafverfahren uneingeschränkt an.

In der Kriminaltechnik waren vor 100 Jahren die Papillaren der Finger, was heute die DNS des Menschen ist. Die Daktyloskopie und die DNA sind heute aus der Polizeiarbeit nicht mehr wegzudenken. (mz)

Birkenrindenpech mit Fingerabdruck eines Neandertalers.
Birkenrindenpech mit Fingerabdruck eines Neandertalers.
LDA Sachsen-Anhalt, Juraj Liptak