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Aus dem Gerichtssaal 16 Monate Knast für Ascherslebener wegen 90 Euro

Ein 31-Jähriger hat ein geistig behindertes Ehepaar regelmäßig ausgenommen.

Von Detlef Anders 16.08.2021, 10:00
Das Amtsgericht in Aschersleben
Das Amtsgericht in Aschersleben Foto: Gehrmann

Aschersleben/MZ - Kuno und Marianne K. (Namen geändert) leiden unter geistigen Einschränkungen. Trotzdem kann das Ehepaar mit Hilfe von Betreuern der Stiftung Schloß Hoym in einer eigenen Wohnung in Aschersleben den Alltag meistern. Sie haben nur wenig Geld und müssen genau schauen, wie sie damit über die Runden kommen. Weil er diesem Ehepaar im September 2020 für DVDs, die diese gar nicht wollten, 90 Euro abluchste, wurde ein 31-Jähriger aus Aschersleben jetzt von einem Schöffengericht im Amtsgericht Aschersleben zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten ohne Bewährung sowie Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt.

„Aber das ist solch eine Arschloch-Nummer ...“

Strafrechtlich sei es zwar nicht solch eine große Geschichte, schätzte Strafrichter Robert Schröter nach Verlesung des Urteils ein. „Aber das ist solch eine Arschloch-Nummer, zwei geistig Beeinträchtigte über Jahre hinaus auszunehmen und zu meinen, wenn man denen irgendwelche DVDs hinschmeißt, dass es das rechtfertigt“, zeigte sich Schröter angewidert. Die 90 Euro seien vielleicht nicht viel, aber für das Paar sei das eine Menge Geld.

Wie das Paar vor Gericht geschildert hatte, hatte ihr früherer Nachbar Marvin Z. an dem Abend geklingelt und Einlass begehrt. Er habe einen Beutel mit DVDs gehabt, die er Kuno K. verkaufen wollte. Nachdem Z. eingelassen wurde, hätte ein zweiter Mann am Balkonfenster geklopft und ebenfalls Einlass begehrt. Z. habe die Balkontür öffnen lassen. Als Marianne Z. die Polizei rufen wollte, hätte der zweite Mann gedroht, dass „etwas passieren“ würde, wenn sie das macht. Daraufhin unterließ sie den Anruf.

Kuno K., der viele DVDs hat, ließ sich so eingeschüchtert darauf ein und ging mit den Männern zur Bank, um die 90 Euro abzuheben. Diese übergab er Marvin Z. dann. Der zweite Mann wollte sogar 120 Euro haben, berichtete Kuno K., doch das habe er ihm nicht gegeben. Marianne K. berichtete einer Freundin davon. Die informierte die Betreuerin, die dann zur Anzeige riet. So kam es zur Anklage. Wer der zweite Mann war, wurde nicht geklärt.

Mehrfach Action-Filme verkauft

Marvin Z. bestritt, dass ein zweiter Mann dabei war. Er habe nur ein paar Action-Filme loswerden wollen und Z. hätte ihm schon öfter DVDs abgekauft. Eine Bedrohung habe es nicht gegeben. „Ich war allein bei ihm“, beteuerte der Angeklagte und meinte, auch nicht in der Wohnung gewesen zu sein, sondern vor der Tür gewartet und K. zur Bank begleitet zu haben. Um Geld hätte er die Familie auch nie gebeten. Und danach hätte er nie mehr Kontakt zu den früheren Nachbarn gehabt.

Der Angeklagte vermutete allerdings, dass seine Ex-Frau und Mutter des gemeinsamen Kindes, die der behinderten Familie ab und zu bei Einkäufen hilft, hinter der Anzeige steckt. „Wir hassen uns. Ich denke, dass sie mir eins auswischen wollen.“

„Ich wollte nicht, habe aber am Ende doch gekauft“

Das Ehepaar traute sich nicht, über den Vorfall zu sprechen, berichtete die Betreuerin als Zeugin. Erst durch die Freundin des Paars erfuhr sie, dass Geld erpresst worden sei, was dann wieder ein Loch in die knappe Haushaltskasse riss. Kuno K. schilderte den Vorfall überzeugend. „Der hat einen Beutel DVDs hingeschmissen und wollte dafür Geld. Ich wollte eigentlich nicht.“ Wenn sie es bekommen, wären sie schnell weg und kämen nicht wieder, berichtete der 58-Jährige. Seine Frau habe die Polizei nicht rufen können, weil der zweite Mann dann in der Wohnung war. „Ich wollte nicht, habe aber am Ende doch gekauft“, berichtete er zu den vorherigen DVD-Käufen. „Horrorfilme, die meine Frau nicht gern guckt.“

Wegen Drohung Angst bekommen

Und obwohl er nicht wollte, habe er aufgrund der Drohung des zweiten Mannes Angst bekommen und bezahlt. Später sei Marvin Z. sogar noch einmal gekommen und habe 40 Euro mit der Aussicht gefordert „dann bleibe ich für immer weg“. Aber die Summe habe er ihm nicht gegeben, versicherte der Zeuge. Dass er das Geld vom gemeinsamen Konto abhob, habe seiner Frau nicht gefallen. Er bestätigte, dass er seit zehn Jahren immer wieder Geldbeträge in unterschiedlicher Höhe an Marvin Z. zahlte. „Einmal im Monat oder alle zwei Wochen“, sagte er.

Auch die 61-jährige Ehefrau bestätigte, dass K. öfter da war. „Ich habe mich geärgert, immer will er Geld haben“, berichtete sie. Der Staatsanwalt bezeichnete dies als „perfide Sache“, da damit ja auch die Frau geschädigt wurde und riet dem Angeklagten zu einem Geständnis, um die Strafhöhe zu deckeln. Neben der angeklagten Tat käme auch Nötigung in Betracht, überlegte der Richter.

Haftantritt stand bevor

Schon seit 2014 war Marvin Z. immer wieder straffällig geworden. Zunächst Delikte wie gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Abgabe von Drogen, Diebstahl. Dann gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – er hatte einem Radfahrer einen Stock ins Rad geschoben und neun Monaten Freiheitsstrafe bekommen, bei der die Bewährung widerrufen wurde. 2019 kamen Beleidigung, tätlicher Angriff und weitere hinzu , die zu einem Jahr und sechs Monaten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt enden. Allerdings ging er nicht nach Bernburg. Seit Dezember 2020 verbüßt Marvin Z. deshalb eine Haftstrafe.

Der Staatsanwalt forderte nun zwei Jahre und drei Monate Haft. Der Verteidiger bezweifelte die Aussagen und sah keine Vermögensschädigung. Er beantragte Freispruch. Strafrichter Robert Schröter, der die kriminelle Karriere von Marvin Z. seit Jahren begleitet, bekannte nach der Urteilsverkündung zu 16 Monaten Haft, dass er 2014 noch glaubte, Z. sei da durch Alkohol und Drogen reingerutscht. Die Schadenhöhe wäre zwar nicht gravierend, aber für die beiden heftig.

„Sie kriegen ihr Leben nicht mehr in Griff“

Auch dass Marvin Z. nur eine „butterweiche“ Einlassung tätigte und den zweiten Mann, der gedroht hat, wegließ, bezeichnete Schröter angesichts des bevorstehenden Haftantritts als „starkes Stück“. Schröter ist sich sicher, dass Marvin Z. auch nach der Haft wieder straffällig wird. „Sie kriegen Ihr Leben nicht mehr in Griff“, sagte der Richter. Er riet ihm, in Ruhe darüber nachzudenken. „Zeit haben sie ja jetzt.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Weitere Links zu diesem Prozess: https://www.mz.de/lokal/aschersleben/prozess-nach-angriff-mit-baseballschlager-im-oktober-2019-aschersleben-opfer-erlitt-schadel-hirn-trauma-1716706

https://www.mz.de/lokal/aschersleben/nach-schlagen-und-drohungen-kepplerstrasse-aschersleben-drogensuchtiger-muss-entziehung-in-bernburg-machen-1583757