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Zuckerersatz Zuckerersatz: Süße aus Kraut

Von Kerstin Metze 06.05.2012, 14:19

Süßen, ohne zuzunehmen. - der Traum aller Figurbewussten! Seit kurzer Zeit dürfen Lebensmittel mit dem neuen Süßungsmittel Stevia verkauft werden. Der vermeintliche Wun- derstoff wurde erstmals auch für Europa freigegeben. Das aus den Blättern der Stevia-Pflanze aus Paraguay gewonnene Steviolglycosid ist bis zu 300 Mal süßer als Zucker. Der Stoff macht nicht dick, ist kalorienfrei und zahnfreundlich.

Alle Lebensmittel, die in Europa mit Stevia gesüßt werden sollen, müssen bei der EU beantragt werden. Genehmigt worden ist die Verwendung beispielsweise in Kaugummi, Bonbons, Marmeladen, Suppen, Eiscreme und Soßen. Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde hält Stevia für besonders geeignet im Joghurt, in Milchmisch-Getränken und alkoholfreien Erfrischungsgetränken.

"Stevia ist hitzebeständig und kann grundsätzlich zum Kochen und Backen verwendet werden", sagt Christa Bergmann, Leiterin des Referates Lebensmittel der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Allerdings sei das Zubereiten von Teig mit Stevia schwierig, weil das zu wenig Volumen hat. Abhilfe könnte das Zugeben von geriebenen Nüssen, Hafer- oder Kokosflocken schaffen. Das bringt Masse.

Nach jahrelanger Prüfung und umfangreichen Studien waren die Experten der EU-Agentur für Lebensmittelsicherheit zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine Hinweise auf gesundheitsschädigende oder krebserregende Wirkung von Stevia gebe. Dennoch soll Stevia - wie übrigens auch das lange Zeit umstrittene Süßungsmittel Aspartam - bis Ende 2012 noch einmal unter die Lupe genommen werden. Unbedenklich für die menschliche Gesundheit, so die EU-Kommission, seien Steviolglykoside, wenn die zulässige tägliche Aufnahmemenge von vier Milligramm je Kilogramm Körpergewicht eingehalten wird. "Die Höchstmenge kann der Verbraucher unfreiwillig schnell überschreiten", sagt die Oecotrophologin Julia Ristow vom Diagnostik-Zentrum Fleetinsel Hamburg. Wer zum Beispiel größere Mengen Limonade trinke, die mit Stevia gesüßt ist, nehme ohne es zu wissen möglicherweise zu viel Stevia auf. Da die gesundheitlichen Gefahren einer Überdosierung bis dato noch nicht geklärt seien, sollten die Konsumenten die Zutatenlisten sorgfältig studieren.

Vor allem bei Kindern müsse aufgepasst werden, meint Christa Bergmann. Sie könnten aufgrund des geringen Körpergewichts schnell die Tageshöchstdosis erreichen. Nach Einschätzung der Verbraucherzentrale können Kleinkinder (Gewicht 16,5 Kilogramm) bereits mit wenigen mit Steviol gesüßten Lebensmitteln die Grenze überschreiten; etwa wenn sie 125 Gramm Joghurt, 0,5 Liter Cola light und zwei Kaugummi verzehrten.

Bedeutet das vermeintliche Wundermittel Stevia nun das schleichende Aus des guten, alten Zuckers? Verbraucherschützerin Bergmann glaubt nicht daran: "Aufgrund seiner Konsistenz und des relativ starken lakritzartigen Eigengeschmacks sowie den verordneten Höchstmengen ist nicht davon auszugehen, dass Stevia normalen Haushaltszucker in großem Ausmaß ersetzen wird." Die Industrie rechnet damit, dass in den Produkten nur etwa ein Drittel bis die Hälfte des ursprünglich eingesetzten Haushaltszuckers durch Stevia ersetzt werden kann.

Auf die Werbung für Stevia mit "ganz viel Natur" sollten Verbraucher nicht allzu viel geben, meint Christa Bergmann. Zwar ist das Ausgangsprodukt eine Pflanze, "aber die in Lebensmitteln verwendeten Extrakte werden durch aufwändige chemische Verfahren gewonnen, die mit Natürlichkeit nichts zu tun haben." Das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit werte Formulierungen wie "natürlich gesüßt" als Täuschung der Verbraucher.

Mit Stevia gesüßte Lebensmittel und Getränke sind nach Ansicht der Verbraucherzentralen nicht besser als andere Süßstoff-gesüßte Produkte. "Süßstoffe gelten auch als problematisch, weil die intensive Süße der künstlichen Stoffe schon bei Kindern die Geschmacksschwelle für süß erhöht, was den Verzehr von Süßigkeiten und süßen Getränken insgesamt fördern kann", sagt Christa Bergmann.

Der neue Süßstoff Stevia ist mittlerweile längst in den Verkaufsregalen angekommen. In Lebensmitteln verarbeitet, erkennen Verbraucher Steviolglykoside an der E-Nummer 960. Sie sind als Zusatzstoffe in Bio-Lebensmitteln übrigens nicht erlaubt. Und: Das reine Stevia-Kraut darf in Europa nach wie vor nicht als Zutat in Lebensmitteln eingesetzt werden.

Stevia-Extrakt zum Süßen ist als Tabs, Flüssigkeit oder Pulver im Handel zu finden. Verbraucher sollten sehr sparsam damit umgehen, denn aufgrund seiner intensiven Süße kann Stevia leicht überdosiert werden. Als Streusüße, beispielsweise über frische Erdbeeren, kann mit Stevia kaum etwas falsch gemacht werden. Anders ist das beim Backen. Da es Steviapulver in verschiedenen Konzentrationen gibt, muss genau gerechnet werden, wie viel davon für die Süße des im Rezept angegebenen Zuckers benötigt wird.