Zu wenig Zeit mit dem Enkel - Neid unter Großeltern
München/Jena/dpa. - Enkelkinder werden meist nicht nur von den Eltern sehnsüchtig erwartet. Auch Omas und Opas freuen sich riesig, wenn ein neues Familienmitglied unterwegs ist.
Ist der Nachwuchs endlich da, schlafen die Kleinen in den ersten Lebenswochen fast den ganzen Tag. Später verbringen sie mehrere Stunden täglich in der Krippe oder dem Kindergarten, so dass neben den Eltern kaum noch Zeit für die Großeltern bleibt. Wohnen Oma und Opa dann noch weiter weg als das andere Großelternpaar und sehen ihre Enkel seltener, sind Eifersucht und Neidgefühle oftmals programmiert.
«Vor allem die Großeltern mütterlicher Seite sind in der Regel näher an den Enkeln», sagt Diplompsychologin Isabelle Überall aus München, die bei einer Ehe-, Partnerschafts- und Familienberatung arbeitet. Schon in der Schwangerschaft begleite die werdende Oma ihre Tochter zumeist aufmerksam. «Sie ist einfach näher dran an dem Kind als die Mutter des Vaters.» Selbst wenn das Enkelkind erstmal da ist, ändere sich dieses Verhältnis selten. Die Hilfe der eigenen Eltern anzunehmen, sei für die zukünftige Mutter einfacher. «Bei Schwiegereltern ist man mehr gehemmt», erklärt Überall.
Dass in solchen Situationen die andere Oma Neidgefühle entwickelt, hält Gerhart Streicher, Familientherapeut der Beziehungswerkstatt Jena in Thüringen, nicht für ungewöhnlich. «Wenn ich neidisch bin, bin ich neidisch. Neid ist ein Mangel an Selbstwertgefühl, wenn man sich mit anderen vergleicht.» Wer Neidgedanken mit sich herumtrage, übersehe aus der Kränkung heraus vieles. «Es bringt gar nichts, wenn Großeltern einen Anspruch auf das Enkelkind erheben», sagt Streicher. Dazu hätten sie gar kein Recht.
Nach Ansicht von Heidemarie Arnhold, Vorstandsvorsitzende des Arbeitskreises Neue Erziehung aus Berlin, sollten Großelternpaare aber nicht um das Enkelkind konkurrieren. Vor allem vom Überhäufen der Kleinen mit Geschenken rät die Pädagogin ab. «Enkelkinder sind kein Stück, das man gerecht aufteilen muss», meint Arnhold. Großeltern sollten sich nicht an ihren eigenen Wünschen orientieren. «Wichtig ist: Was braucht das Kind? Und nicht: Was ist mein Recht!»
Fühlen sich Oma und Opa vernachlässigt, weil sie ihrer Meinung nach ihr Enkelkind zu wenig zu Gesicht bekommen, rät die Psychologin Überall zu Offenheit. «Sie sollten es kommunizieren, wenn sich eine Schieflage herauskristallisiert.» Sind die Eltern des Vaters betroffen, sollten sie ihrem Sohn offen, aber vorsichtig von ihren Gefühlen erzählen. Vorwürfe brächten nichts. Vielmehr sollten die sagen: «Ich würde gern mal kommen. Ist es euch Recht?», sagt Überall.
«Für den Kontakt zum Enkelkind muss dann der Mann sorgen.» Die Eltern ihrerseits sollten, um möglichen Problemen schon vorweg aus dem Weg zu gehen, stets beide Großelternpaare beispielsweise zu Geburtstagen oder Familienfesten einladen. «Das ist dann auch für die Kinder schön», meint Überall.
Ein Gezerre der beiden Paare an ihrem Enkel muss tabu sein, sagt Heidemarie Arnhold. Vertragen sich Omas und Opas untereinander, könnten gemeinsame Aktivitäten mit dem Enkelkind für Entspannung sorgen. «Man sollte sich nicht streiten, sondern schauen, was jedes Paar dem Kind mitgeben kann.» Wollen Großeltern mehr am Familienleben und damit am Aufwachsen ihres Enkels teilhaben, sollten sie ihrer Tochter oder ihrem Sohn Hilfe im Alltag anbieten. «Ein Kurzurlaub mit dem Kind wird von den Eltern sicher gerne angenommen.»
Nach Ansicht von Gerhart Streicher darf jedoch nicht unterschätzt werden, dass sowohl Vater und Mutter als auch die Großeltern aus unterschiedlichen Familien kommen. Das könnte schon im Vorfeld Konflikte aufwerfen. «In der einen Familie wird Fleiß und Ordnung mehr betont, in der anderen beispielsweise mehr emotionale Wärme.» Diese unterschiedlichen Systeme gelte es auf Augenhöhe zu bringen. «Beides ergänzt sich und steht nicht in Konkurrenz», sagt Streicher. Das nutze vor allem dem Enkelkind, das neben dem Familienleben mit den Eltern noch zwei andere Lebensweisen kennen lernt.
Sind die Kleinen erstmal größer und wissen, bei welcher Oma und welchem Opa sie am liebsten sind, sollte ihr Wunsch respektiert werden. «Die Großeltern sollten sich nicht zu sehr auf die Enkel fixieren», warnt Streicher. Vielmehr müssten sie bei Neid oder Eifersucht an sich selbst arbeiten.
Kinder zu zwingen, mit beiden Großelternpaaren gleich viel Zeit zu verbringen, macht Arnhold zufolge keinen Sinn. Ab einem gewissen Alter könne die Oma ihr Enkelkind auch fragen, warum es seltener zu Besuch komme. Aber auch die Eltern sollten darauf achten, dass sich Omas und Opas nicht zu stark vernachlässigt fühlen. «Denn es ist mit Sicherheit auch für beide Paare Platz.»