1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Zensuren: Zensuren: Lehrer müssen Schulnoten begründen können

Zensuren Zensuren: Lehrer müssen Schulnoten begründen können

12.05.2003, 09:20
Nicht nur die individuelle Leistung zählt - in die Notengebung fließen nach Meinung von Experten auch Faktoren wie Sympathie und Leistungsniveau der Klasse insgesamt ein. (Foto: dpa)
Nicht nur die individuelle Leistung zählt - in die Notengebung fließen nach Meinung von Experten auch Faktoren wie Sympathie und Leistungsniveau der Klasse insgesamt ein. (Foto: dpa) dpa

Bonn/Bielefeld/dpa. - Die Pisa-Ergebnisse bestätigen Untersuchungen, wonach Noten vomsubjektiven Urteil des einzelnen Lehrers abhängen. «Das ist nicht nurnegativ», sagt Eiko Jürgens, Professor für Schulpädagogik an derUniversität Bielefeld. Der Lehrer orientiere sich immer an seinerBezugsgruppe. So neigten Lehrer dazu, lernschwächere Gruppen besserzu benoten. «Das soll die Schüler motivieren», sagt Jürgens.

Die vergebene Note hängt auch davon ab, wie ein Lehrer seinenSchüler persönlich einschätzt. «Hat er sich als gut erwiesen, lesenLehrer systematisch über Fehler hinweg», erklärt Jürgens.Andererseits bekomme ein Schüler, der unangenehm aufgefallen ist,schnell den Stempel «unintelligent» aufgedrückt.

Ob angehende Lehrer überhaupt erfahren, wie sie richtig Notengeben, entscheiden sie oft selbst. «An vielen Universitäten istNotengebung kein Pflichtfach», sagt Jürgens. Dabei ließen sich seinerMeinung nach Beurteilungsfehler vermeiden: Der Lehrer sollte vorjeder Klausur die Lernziele definieren, Mindestkompetenzen festlegenund einen Auswertungsbogen erarbeiten. Kontrolle biete auch derAustausch mit Kollegen. Renate Hendricks fordert, dass Lehrerregelmäßig Klausuren vergleichen oder gegenlesen lassen. «Wirbrauchen stärkere Transparenz, was in den Klassen passiert», sagt sie«Lehrer sind in der Gestaltung des Unterrichts und der Benotungvöllig frei.»

Bislang fehlen in Deutschland vergleichbare Bildungsstandards.Jedes Bundesland bestimmt die Lehrpläne selbst. Das soll sich ändern:Die Kultusministerkonferenz will im Herbst 2003 nationaleBildungsstandards vorlegen. Darin soll festgeschrieben werden, überwelches Wissen Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügen müssen.In Nordrhein-Westfalen müssen sich die Schüler künftig zu Beginn dervierten und neunten Klasse zentralen Tests stellen. «Das soll denLehrern eine objektive Rückmeldung geben, ob sie mit ihrer Benotungrichtig liegen», sagt Sonja Schwalm, Sprecherin im SchulministeriumsNordrhein-Westfalen in Düsseldorf.

Eltern und Schüler müssen Noten nicht einfach hinnehmen: «WennEltern der Meinung sind, dass eine Note falsch ist, können sie sichvom Lehrer das Bewertungsschema vorlegen lassen», sagt Hendricks.Hilde Dötsch, zuständig für die Schulaufsicht am staatlichen SchulamtErfurt, rät Eltern, einen Blick in das Schulgesetz zu werfen. «Darinstehen die Vorgaben für die einzelnen Noten.» Der Lehrer müsse genauerklären können, was bei einer Antwort gefehlt habe. Das jeweiligeSchulgesetz des Landes liege in allen Schulen aus. Werden sich Elternund Lehrer nicht einig, kann der Schulleiter hinzugezogen werden.

«Der nächste Schritt ist der offizielle Widerspruch bei derSchule», erklärt Angelika Leppin, Fachanwältin für Verwaltungsrechtmit Schwerpunkt Schulrecht in Kiel. Grundsätzlich könnten Einzelnotenaber nur rechtlich angefochten werden, wenn sie eine selbstständigeBedeutung haben, beispielsweise in einem Abschlusszeugnis, mit demsich ein Schüler für einen Ausbildungsplatz bewirbt.

Hat der Widerspruch keinen Erfolg, bleibt der Gang vor dasVerwaltungsgericht. Leppin rät, ein Eilverfahren zu beantragen. DieEltern müssten vor Gericht klar machen, dass es für den Schülerunzumutbar ist, andernfalls mehrere Jahre bis zur endgültigenEntscheidung des Gerichts zu warten. «Die Richter prüfen dann, ob derLehrer seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat», sagt Leppin.Das sei zum Beispiel der Fall, wenn sich der Lehrer von sachfremdenErwägungen leiten ließ.

In der Regel hielten sich die Gerichte mit ihren Urteilen zurück.«Das müssen schon krasse Fälle sein, etwa wenn die halbe Klassenachweisen kann, dass ein Schüler gemobbt wurde», sagt sie. DieAnwältin empfiehlt, einen Streit über Noten möglichst einvernehmlichzu klären. Eiko Jürgens hält Noten überhaupt für ein untauglichesBeurteilungsmittel: «Sie sagen nur etwas über den momentanenLeistungsstand aus. Über Lernerfolge erfahre ich nichts.»