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Zeitgeschichtliches Forum Zeitgeschichtliches Forum: Kassenschlager Miss Germany

01.02.2002, 11:05
Die 20-jährige Natascha Börger (M) gewinnt in der Nacht zum Freitag in der Diskothek «Riverside» in Kaiserslautern die Wahl zur «Miss Deutschland» der MGO (Miss Germany Organisation). Die Drittplazierte Susanne Tockan (l.) und Anja Pensold (r), die Vize-Miss-Deutschland, gratulieren. Unter 16 Bewerberinnen setzte sich die Studentin aus Hamburg durch.
Die 20-jährige Natascha Börger (M) gewinnt in der Nacht zum Freitag in der Diskothek «Riverside» in Kaiserslautern die Wahl zur «Miss Deutschland» der MGO (Miss Germany Organisation). Die Drittplazierte Susanne Tockan (l.) und Anja Pensold (r), die Vize-Miss-Deutschland, gratulieren. Unter 16 Bewerberinnen setzte sich die Studentin aus Hamburg durch. dpa

Leipzig/dpa. - «Ein Mann kann anziehen, was er will - er bleibt doch nur einAccessoire der Frau», bemerkte bereits Coco Chanel lakonisch. Obwohldie «Grande Mademoiselle» der Mode in erster Linie wohl nicht anMiss-Wahlen dachte, wusste sie, welches Potenzial im Geschäft mit derSchönheit schlummerte. «Ruhm und Karriere erhoffen sich auch heuteviele Frauen, die sich Schönheitswettbewerben stellen», sagt AnneMartin, Historikern im Zeitgeschichtlichen Forum.

Die fast 100-jährige Geschichte deutscher Miss-Wahlen dokumentiertneben wandelnden Schönheitsidealen deren politische undwirtschaftliche Bedeutung. Als im florierenden Klima der «GoldenenZwanziger» erstmals das Miss-Wahlfieber ausbrach, sollten dieSchönheiten vor allem den Konsum von Zigaretten und Schokoladeankurbeln, erklärt die 41-jährige Wissenschaftlerin. «Die meistennutzten die Chance und wurden Werbeträger.»

Obwohl nicht alle Frauen aus ihrem Aussehen Bares machen wollten,bedeutete die Wahl oft einen Sprung auf der Karriereleiter, erläutertMartin. Die kürzlich verstorbene Susanne Erichsen avancierte zumInbegriff des «German Fräuleinwunders». Ihrer Wahl 1950 folgte eineMannequin-Karriere auf den New Yorker Laufstegen. Mit einemStundenlohn von 500 Mark verdiente sie damals so viel wie einArbeiter in einem Monat.

Viele Lebensläufe der über 90 Titelträgerinnen räumen Martinzufolge mit dem Vorurteil «Schönheit gleich Dummheit» auf. VeronaFeldbusch bescherte der Titel beispielsweise lukrative Werbe- undShowangebote, die sie erfolgreich zu nutzen wusste. Auch derBundestag profitiert seit 1994 von der Wirtschaftskompetenz einerehemaligen Miss: Die CSU-Abgeordnete Dagmar Wöhrl wurde vor 25 Jahrenzur «Schönsten» Deutschlands gekürt.

Die Wahlen dienten auch politischen Zwecken. «In den Anfangsjahrenhalf das Auftreten der Miss Germany bei der Westanbindung der jungenBundesrepublik», sagt die Historikerin. In der ehemaligen DDR warensie dagegen lange als «kapitalistische Ausbeutung der Frau» verboten.«Das konnte die Staatsführung aber ebenso wenig durchsetzen wie daspuritanische Bild von der Heldin der Arbeit.»

Im Zuge von «Glasnost» und «Perestroika» durfte 1986 die erste«Miss Frühling» gekürt werden. «Das klang weniger anrüchig als diewestdeutsche Bezeichnung», sagt Martin. Ganz ohne «kapitalistischenAnreiz» funktionierten aber auch die Miss-Wahlen im Sozialismusnicht: Der Siegerin winkten Kosmetik und ein nagelneues Auto.