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Wenn Jugendliche ihre Eltern plötzlich ablehnen

Von Bettina Levecke 03.09.2008, 07:46

Groß-Gerau/dpa. - Stöhnen, verdrehte Augen und ein vorwurfsvoller Blick: «Oh Mann, Mama, wie peinlich!!!» Wenn die Kinder sich für die eigenen Eltern schämen, wissen die meist nicht, was eigentlich los ist.

«Kein Wunder», sagt Christoph Schmidt, Diplom-Psychologe an der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Groß-Gerau. «Das Verhalten Pubertierender ist oft unberechenbar.» Experten raten Eltern in diesen Fällen zu Gelassenheit.

Kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen: In der Pubertät stecken Jugendliche in einem Zwiespalt. Die Beziehung zu den Eltern ist geprägt vom Wechsel zwischen Distanz und Nähe. Das ist wichtig: «Bis hierher war die Identität von den Vorstellungen der Eltern bestimmt, jetzt müssen sich die Kinder aus diesem Schatten herausarbeiten», erklärt Peer Wüschner, Autor aus Bad Reichenhall.

Peinlich finden die Teenager dann vieles: Die selbst gebackenen Kekse in der Schulbrotdose genauso wie die Umarmung vor den Kumpels. «Geht gar nicht», sind sie sich einig. «Eltern haben kaum eine Chance, alles richtig zu machen, denn die Kids denken viel zu überzogen», sagt Schmidt. Für die Eltern ist die Ablehnung schwer zu schlucken. «Nehmen Sie das nicht persönlich», rät Wüschner. «Auch wenn es kaum zu glauben ist, das ablehnende Verhalten zeigt Ihnen, wie wichtig Sie sind.»

Tatsächlich sind Eltern der wichtigste Trainingspartner beim Erwachsenwerden. Dazu gehören Protest, Distanzierung und auch die Ablehnung elterlicher Lebensvorstellungen. «Das Verhalten der Jugendlichen ist vielen Eltern unverständlich und macht ihnen Angst», weiß Klaus Fischer von der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche im nordrhein-westfälischen Schmallenberg. Er empfiehlt Eltern Gelassenheit: «Nehmen Sie die Selbstständigkeitsbestrebungen Ihres Kindes ernst und fragen Sie sich gleichzeitig, wo Sie als Erwachsener wirklich Position beziehen müssen.»

Auch Schmidt rät, sich nicht über jede Kleinigkeit aufzuregen: «Finden Sie sich damit ab, dass sie einiges ertragen müssen, setzen Sie aber auch klare Grenzen, wenn der pubertierende Nachwuchs über die Stränge schlägt.» Will der Sohn jetzt nicht mehr gemeinsam mit den Eltern übers Stadtfest bummeln - bitte sehr! «Strengen Sie keine Diskussion an, lassen Sie ihn einfach laufen», rät Wüschner. 

Dabei ist es wichtig, Wünsche nach Privatsphäre und Rückzug zu akzeptieren, also nicht ohne Anklopfen ins Zimmer zu gehen oder den Kumpels heißen Kakao zu servieren: «Eltern, die ihre Kinder weiter als Babys behandeln, sind peinlich», warnt der Jugendexperte. Loslassen, Freiräume ermöglichen, Abschied von der Kindheit nehmen: «Das sind jetzt die wichtigsten Aufgaben für Eltern», sagt Schmidt.

Auch wenn vieles von den Kindern abgelehnt wird, bleiben Eltern Vorbild. Eine klare Balance zwischen Freiräumen und Grenzen ist die Basis für möglichst reibungsloses Zusammenleben. «Viele Eltern geben zu schnell nach und sind nicht standfest genug, wenn der Nachwuchs hartnäckig an den Grenzen gräbt», so der Diplom-Psychologe.

Ganz wichtig: «Bleiben Sie authentisch, verbiegen Sie sich nicht, nur um dem Nachwuchs zu gefallen», rät Schmidt. Im Wunsch, eine enge Bindung zum Kind zu erhalten, versuchen verzweifelte Eltern schnell, durch Nachgiebigkeit und künstliche Jugendlichkeit zu gefallen. «Kids brauchen aber keine Kumpeleltern, sondern ein erwachsenes Gegenüber, das Stärke und Sicherheit ausstrahlt.»

Die Revolte des Nachwuchses hat auch ihre guten Seiten. Während kleinere Kinder die Eltern noch bedingungslos annehmen, schauen größere gerne und oft hinter die Kulisse. «Die Jugendlichen sind ganz dicht dran an den Eltern, kennen alle Ecken und Kanten», erklärt der Sachbuchautor Peer Wüschner aus Bad Reichenhall. Das tut manchmal weh, kann aber auch ein Motor für die gemeinsame Beziehung sein. Durch den vorgehaltenen Spiegel können Eltern Dinge erkennen, die vielleicht wirklich mal überdacht werden sollten.