«Villa am Bernsteinsee» in Bitterfeld «Villa am Bernsteinsee» in Bitterfeld: Spagat vor Seekulisse
Halle (Saale)/MZ. - Was für eine Kulisse! Der Sonnenuntergang malt rote Schlieren auf die Wolken über der blauen Wasserfläche, die grünerWald begrenzt. Ein Segelboot zieht seine Bahn. Am Horizont grüßt die Silhouette eines Schlosses. Nein, wir sind nicht ander Mecklenburgischen Seenplatte. Und auch nicht in Brandenburg. Sondern - in Bitterfeld.
Genauer: Auf der Terrasse der "Villa am Bernsteinsee", von der aus sich dieser fantastische Blick auf den See bietet, derbis Ende der 90er Jahre noch der dreckige Braunkohletagebau Goitzsche war. Niemand hätte sich damals vorstellenkönnen, hier bei Wein, Bier, Cocktails und gutem Essen am Wasser sitzen zu können. Und das in einem Baudenkmal,das viele in Bitterfeld schon dem Untergang geweiht sahen, ehe es 1999 die damalige Kreissparkasse kaufte. Sie machteaus der ehemaligen "Biermannschen Villa", 1896 im Stil der Neorenaissance als Fabrikanten-Sitz eröffnet, ein wahresSchmuckstück.
Es muss die Terrasse sein!Seit 2005 beherbergt die "Villa am Bernsteinsee" ein Hotel und das Restaurant "Amber", das in Bitterfeld seinesgleichensucht. Das fängt beim Ambiente an: Im Treppenhaus lösen florale Wandmalereien Staunen aus. Nach ein paar Stufensteht der Gast im Restaurant, dessen Räume mit feinen Stoffen und ausgesuchten Möbeln alle unterschiedlicheingerichtet sind. In einer Lounge laden weiche Polster regelrecht zum Fläzen ein, ein Segelschiff-Modell an einer Wandverbreitet einen Hauch von maritimem Flair.
Der laue Sommerabend macht die Entscheidung für einen Tisch nicht schwer: Es muss die kleine Terrasse - sechs Tische- mit Seeblick sein! Dort beginnt beim Blättern in der Speisekarte die Qual der Wahl. In der Küche gibt Nico Eisenmannden Ton an. Der Inhaber und Küchenchef will auch Gourmets beglücken, doch er weiß, wie schwierig das ist: "Wir wollenein hohes Niveau halten, aber auch andere Gäste nicht vergessen." Ein Spagat, zumal die günstigste Vorspeise 10,80Euro kostet. Die Hauptgerichte bewegen sich zwischen 9,90 Euro und 22,50 Euro. Der junge Küchenchef sieht in denPreisen keine Hürde: "Dafür bekommen Sie ein Ambiente geboten, das sie anderswo nicht finden."
Im Juli 2007 hat der 28-Jährige die Villa übernommen, in der er schon seit 2005 in der Küche steht, nach soliderAusbildung in Wolfen und Erfahrungen unter anderem in Wörlitz. Warum gerade Bitterfeld? "Ich bin sehrheimatverbunden, ich wollte nicht unbedingt weggehen", sagt Eisenmann, der aus einem nahe gelegenen Ort in derDübener Heide stammt. So griff er zu, als es sich anbot, "das erste Haus am Platze" zu übernehmen.
Der junge Küchenchef mag sich in keine Schublade stecken lassen, Vielfalt ist Trumpf: Alle sechs bis acht Wochenwechselt die Karte. "Im Sommer", sagt er, "tendieren wir eher ins Mediterrane, im Winter wird es etwas bodenständiger."Uns erwartet zum Auftakt frisches Baguette mit einem Trio aus Kräuterbutter, Möhren-Ingwer- und mediterraner (!)Kartoffelcreme, wobei letztere mit angenehmer Schärfe überrascht. Sodann grüßt die Küche mit einem pikantenKartoffel-Lauch-Süppchen im Mini-Glas.
Das Süppchen erleichtert die Wahl der Speisen: Auf der einen Seite des Tisches fällt sie schließlich auf gegrillteRiesengambas auf fruchtigem Ananas-Tomatenchutney und Rucolasalat als Vorspeise, als Hauptgang folgt Pot-au-Feu,ein französischer Eintopf vom Lammrücken mit Zuckerschoten, Karotten und Pimentos in altem Sherry anTomaten-Olivenpolenta. Auf der anderen Seite des Tisches lautet die Reihenfolge: gebackener sizilianischer Schafskäsemit getrockneten Tomaten und Oliven, sodann geschmortes Ochsenbäckchen aus dem Pergamentpapier mit Trüffelduftund Frühlingskräutern mariniert, an jungem Gemüse und Rosmarinkartoffeln.
Letzteres entpuppt sich als kleines Säckchen, das am Tisch aufgeschnitten wird. Sein Inhalt: butterzartes Fleisch undebenso fein gedünstetes Gemüse. Das Bäckchen wird geschmort, das Gemüse kurz angebraten, dann kommt beideszusammen in den Sack und in den Ofen, wo es noch eine gute halbe Stunde vor sich hin dämpft. Ein Genuss! Da lässt sich verschmerzen, dass die Kartoffeln eine Spur zu weich sind. Zuvor hat sich schon die Kombination aus Schafskäse,Oliven und Tomaten als gelungen erwiesen.
Von den Riesengambas lässt sich das leider nicht durchweg sagen - zum Teil sind sie schlecht ausgenommen. Ärgerlich,gerade beim stolzen Preis von 11,50 Euro. Das Pot-au-Feu macht das wieder vergessen, auch wenn es rein praktischeine Herausforderung darstellt: Die Fleischstücke sind so groß, dass man sie noch einmal zerschneiden muss. Was sichin der Schüssel, in der das Ganze serviert wird, als unhandlich erweist. Eisenmann weiß Rat: Einfach Portionen desdicken Eintopfes aus der Schüssel nehmen und auf dem mitservierten länglichen Teller essen.
Ein Saale-Unstrut-Hauswein
Solcherlei Rat hätte man sich von der Kellnerin auch gewünscht. Die ist zwar freundlich, aber in der Beratung nicht immerganz sicher, zum Beispiel auch beim Wein. Deshalb wählen wir aus der umfangreichen Karte, die sowohl regionale alsauch internationale Gewächse auflistet, schließlich selber - den Rosé-Hauswein. Die "edition amber" vom WeingutThürkind in Gröst in der Saale-Unstrut-Region erweist sich als ideal für einen Sommerabend. Leicht, fruchtig und gutgekühlt, kann der Wein es trotzdem mit den kräftigen Fleischgerichten aufnehmen. Aus der "edition amber" hatEisenmann auch noch einen Weißen und einen Roten zu bieten. Die Weine sind eigens für das Bitterfelder Hausgekeltert. "Wir haben nach etwas gesucht, das nicht von der Stange ist", erklärt der Küchenchef.
Uns bleibt nach einer angemessenen Pause - die Portionen sind üppiger als erwartet - noch das Dessert: Auf der einenSeite kommt Mascarponecreme mit Himbeersauce und Vanilleeis auf den Tisch, gegenüber Zitronengras-Crème-brûléemit Mangosorbet. Während letztere mit einem angenehm herben Aroma überzeugen kann, ist erstere, weil stellenweiseleider klumpig, bestenfalls solide zu nennen. Noch so ein kleiner Ausrutscher. Schade, gerade weil Karte, Ambiente undKulisse so hohe Erwartungen wecken.
Hauptgerichte ab 9,90 Euro bis 22,50 Euro,offene Weine ab 6,50 Euro, Flaschenweine ab 19 Euro, Wein im Schnitt 25 Euro
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