1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Vater unbekannt: Vater unbekannt: Spenderkinder auf der Suche nach ihrer Identität

Vater unbekannt Vater unbekannt: Spenderkinder auf der Suche nach ihrer Identität

30.01.2015, 12:13
Viele Kinder von Samenspendern wollen der Frage auf den Grund gehen, welche Gene sie in sich tragen, welche Charaktereigenschaften sie vielleicht von ihrem biologischen Vater haben.
Viele Kinder von Samenspendern wollen der Frage auf den Grund gehen, welche Gene sie in sich tragen, welche Charaktereigenschaften sie vielleicht von ihrem biologischen Vater haben. dpa Lizenz

Inga P. (*) hat eine glückliche Kindheit, wird von ihrer Familie geliebt. Als sie 13 Jahre alt ist, lüften ihre Eltern ein bis dahin gut gehütetes Geheimnis: Weil ihr Vater unfruchtbar ist, wurde sie mittels Samenspende eines Unbekannten gezeugt. Die Nachricht wirft Inga nicht aus der Bahn, allerdings will sie nun herausfinden, von wem sie abstammt. Auf die Frage, warum sie das so umtreibt, antwortet sie mit einer Gegenfrage: „Wer gibt jemandem das Recht, mir meinen biologischen Vater vorzuenthalten? Er macht einen Teil meiner persönlichen Identität aus.“

Spenderkinder haben Recht auf Vaterschafts-Auskunft

Menschen wie Inga gibt es viele in Deutschland, wo die künstliche Befruchtung ungewollt kinderlosen Paaren seit den 1970er Jahren bei der Erfüllung ihres Nachwuchswunsches hilft. Sie wollen der Frage auf den Grund gehen, welche Gene sie in sich tragen, welche Charaktereigenschaften sie vielleicht von ihrem biologischen Vater haben. Sie wollen seine Stimme hören oder sich eventuell daran erfreuen, dass sie bis dato unbekannte Geschwister haben.

Dass es dabei reichlich Haken gibt, zeigte ein Fall, mit dem sich der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Mittwoch beschäftigte. Zwei Schwestern aus der Nähe von Hannover, heute 12 und 17 Jahre alt, verklagten eine Reproduktionsklinik, weil diese die Auskunft über den biologischen Vater der Kinder verweigerte. Der BGH gab den Klägerinnen Recht und stellte klar: Jedes Kind hat grundsätzlich Anspruch, seine Abstammung zu erfahren. Und zwar - das ist neu - egal welchen Alters, wie die höchsten deutschen Zivilrichter betonten (Az.: XII ZR 201/13).

Spendern könnten Unterhaltsklagen drohen

Der BGH folgte damit einer Linie, die sich schon länger in der Rechtsprechung abzeichnet. Jahrzehntelang agierten Samenspender anonym, ließen sich das von Reproduktionszentren oder Samenbanken vertraglich zusichern. Doch seit einiger Zeit räumen Gesetzgeber und Gerichte den Interessen der Spenderkinder tendenziell höheres Gewicht ein. Mit der Folge, dass Spendern nach Preisgabe ihrer Identität theoretisch sogar Unterhalts- oder Erbschaftsklagen drohen könnten.

Das Bundesverfassungsgericht gestand schon 1989 jedem das Recht auf Kenntnis seiner Herkunft zu. Anfang 2013 klagte erstmals eine per Samenspende gezeugte Frau ihren Anspruch ein: Das Oberlandesgericht Hamm in Nordrhein-Westfalen verpflichtete eine Reproduktionsklinik, den Namen ihres biologischen Vaters zu nennen.

Unterlagen müssen 30 Jahre lang aufbewahrt werden

Seit 2007 gibt es zudem neue gesetzliche Regelungen: Samenspender müssen darüber aufgeklärt werden, dass von ihnen gezeugte Kinder später Kontakt zu ihnen suchen könnten. Unterlagen müssen 30 Jahre lang aufbewahrt werden - Anonymität ist also nicht mehr gegeben.
Was theoretisch klar klingt, ist in der Praxis jedoch bei weitem nicht so klar. „Etliche Ärzte weigern sich nach wie vor, die Daten der Spender herauszugeben“, beklagt Anne vom Verein Spenderkinder, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. „Weitere Klagen laufen bundesweit, aber die brauchen Zeit und kosten Geld“, schildert die Vereinsmitarbeiterin. „Eine Dauerlösung kann das nicht sein.“

Verein setzt sich für Samenspendegesetz ein

Deshalb setzt sich der Verein für ein Samenspendegesetz ein. „Das würde allen Beteiligten Rechtssicherheit geben“, sagt Anne. „Dort könnten etwa Unterhalts- oder Erbschaftsforderungen an Spender ausgeschlossen werden.“ So sieht das auch Reproduktionsmediziner Rolf Behrens von der Praxis für Kinderwunschbehandlung in Erlangen in Bayern, die schon länger auf Transparenz im Hinblick auf die Samenspender setzt. „Wir brauchen die Spender, aber die Verunsicherung bei vielen ist groß.“ Das wirke sich auf die Spendenbereitschaft aus.

Leibliche Väter haben nicht in jedem Fall Anspruch auf Anerkennung ihrer Vaterschaft. Das hat das Bundesverfassungsgericht 2013 entschieden und die Klage eines Mannes aus dem sächsischen Zwickau abgewiesen. Wenn das Kind eine „sozial-familiäre Beziehung“ zu seinem rechtlichen Vater habe, sei eine entsprechende Klage ausgeschlossen, so die Richter.

Unter Umständen habe der biologische Vater jedoch ein Recht auf Umgang mit dem Kind, hieß es weiter. Der Kläger war überzeugt, der leibliche Vater eines Mädchens zu sein, das in die Ehe seiner Mutter mit einem anderen Mann hineingeboren wurde. Der mutmaßlich leibliche Vater hatte eine Beziehung mit der Mutter, bis das Kind vier Monate alt war. Dennoch ist der Ehemann vor dem Gesetz der Vater. Der Kläger focht die Vaterschaft des Ehemannes an und scheiterte in den unteren Instanzen.

Auch die Verfassungsrichter verweigerten dem biologischen Vater ein Anfechtungsrecht. Das sei mit der Verfassung vereinbar, um die bestehende „rechtlich-soziale“ Familie zu schützen. Sollte der Kläger jedoch in den Monaten nach der Geburt des Kindes eine „sozial-familiäre“ Beziehung zu dem Mädchen aufgebaut haben, stehe ihm ein Recht auf Umgang zu. Die Richter bestätigten damit ihre bisherige Rechtsprechung und beriefen sich auch auf ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes von 2012.

Bekommt ein unverheiratetes Paar ein Kind, darf der Vater in der Erziehung rechtlich gesehen gar nichts bestimmen. „Das geht dann nur mit der Zustimmung der Mutter“, sagt Eva Becker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Das heißt zum Beispiel: Er darf Sohn oder Tochter nicht bei der Kindertagesstätte anmelden, kann nicht über eine medizinische Behandlung entscheiden oder über das Geld auf dem Konto des Kindes, etwa wenn es geerbt hat.

Damit unverheiratete Paare rechtlich mit Ehepaaren gleichgestellt sind, brauchen sie zwei Dokumente: Zunächst muss der Mann die Vaterschaft offiziell anerkennen. Dafür besorgt er sich beim Jugend- oder Standesamt eine sogenannte Anerkennung. „Damit wird aus dem biologischen Vater der rechtliche Vater“, erklärt Becker. Dann ist er mit dem Kind unterhaltsrechtlich und erbrechtlich verbunden.

Will er allerdings auch in der Erziehung mitbestimmen, braucht er zusätzlich die Sorgeerklärung. „Dann hat er das Recht auf die gemeinsame elterliche Sorge.“ Ein Recht zweiter Klasse sei das nicht. Mit beiden Dokumenten hat der Vater seinem Kind gegenüber die gleichen Rechte wie ein Vater, der mit der Mutter verheiratet ist.

Im Übrigen scheiterten Auskunftsbegehren gerade bei älteren Praxen oft an praktischen Fragen: Akten seien früher oft schon nach wenigen Jahren im Reißwolf gelandet. „Selbst wenn sie wollten, könnten sie keine Daten mehr herausgeben“, so Behrens.
Wie viele Spenderkinder es in Deutschland gibt, ist nicht ganz klar. 2007/2008 schätzte der Reproduktionsmediziner Thomas Katzorke ihre Zahl auf rund 100 000. Jährlich kommen nach unterschiedlichen Angaben zwischen 1500 und 5000 hinzu. (dpa)