Urteile Urteile: Ja gibt's denn so was?
Halle (Saale)/MZ. - Oder die Streithähne ziehen Urteile zu Rate, die in vergleichbaren Fällen bereits gesprochen worden sind. Doch Vorsicht: "Generell", so sagt Werner Budtke, Pressesprecher und Richter beim Amtsgericht Halle, "ist ein Urteil nur für den Einzelfall, das heißt nur für die beiden vor Gericht stehenden Parteien verbindlich, also für den Kläger und den Beklagten."
Einzelurteile dienen bestenfalls als Orientierung, wie eine gerichtliche Auseinandersetzung bei einem ähnlich gelagerten Falle ausgehen könnte. Jedes Einzelurteil hängt von konkreten Umständen und der konkreten Beweislage ab. Durch die Unabhängigkeit des richterlichen Standes ist ein Gericht nicht an das gebunden, was ein anderes entschieden hat.
Anders ist das bei einem sogenannten Grundsatzurteil. Zwar wird auch hier in einem Einzelfall entschieden, die Grundsatzentscheidung enthält jedoch Leitgedanken, wie in vergleichbaren Fällen verfahren werden kann. Sie können sich beispielsweise auf Gebührenregelungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen von Banken oder Versicherungsgesellschaften beziehen.
Die MZ hat einige Urteile zusammengetragen, die zeigen, womit sich Gerichte herumschlagen müssen. Auch im Gerichtsalltag gibt es nichts, was es nicht gibt.
Partnervermittlung
Mehr als 1 000 Euro für das Vermitteln eines möglichen Dates ist zu viel. Das geht aus einem Urteil im Streit zwischen einem Rentner und einem Partnervermittlungsinstitut hervor. Der 74-Jährige sollte für die Nennung von zwei Partnervorschlägen 2 500 Euro zahlen. Nach einer Anzahlung von 2 000 Euro und der Nennung einer ersten Kontaktadresse widerrief der Mann den Vertrag. Als das Institut ihm nur 750 Euro erstattete, klagte der Mann und bekam vom Gericht Recht: Der Vertrag sei sittenwidrig, weil das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht stimme.
Amtsgericht Aachen,
Aktenzeichen: 104 C 350 / 08
Quietschende Bremsen
Autokäufer dürfen einen teuren Wagen zurückgeben, wenn dessen Bremsen dauerhaft quietschen. Denn in der gehobenen Preisklasse ist das ein erheblicher Mangel, so ein Urteil. Der Kläger hatte einen Mercedes im Wert von 75 000 Euro geleast, dessen Bremsen nach weniger als 10 000 Kilometern zu quietschen begannen. Auch nach mehreren Reparaturversuchen war das Quietschen noch durch das geschlossene Autofenster zu hören. Deshalb wollte der Mann den Kauf im Namen der Leasinggesellschaft rückgängig machen und klagte. Das Gericht gab ihm Recht. Denn quietschende Bremsen genügten nicht den Anforderungen, die ein Durchschnittskäufer an ein Auto dieser Preisklasse stellt.
Oberlandesgericht Schleswig,
Aktenzeichen: 14 U 125 / 07
Vögel füttern
Um die Frage, ob Vogelkot auf Balkon und Terrasse ein vertragswidriger Zustand ist, der zu einer Mietminderung berechtigt, ging es bei einem Gerichtsstreit. Nein, urteilten die Richter. Das gelte selbst dann, wenn Nachbarn die Vögel durch Füttern und das Aufstellen von Wassergefäßen "anlocken". Die Richter erklärten, das Füttern von Vögeln sei "sozialadäquat" und weit verbreitet. Es überschreite nicht die Grenzen des vertragsgemäßen Gebrauchs und sei damit erlaubt. Etwas anderes gelte nur, wenn es zu unverhältnismäßig starken Verschmutzungen komme oder zu gesundheitlich bedenklichen Folgen durch die Verunreinigungen. Dies sei denkbar, wenn Tauben gefüttert würden.
Landgericht Berlin,
Aktenzeichen: 65 S 540 / 09
Werbebriefe
In den ersten zwei Wochen nach einem Todesfall dürfen keine Werbebriefe an die Hinterbliebenen geschickt werden. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Danach handele es sich jedoch nicht mehr um eine "unzumutbare Belästigung" im Sinne des Wettbewerbsrechts, so die Richter. Im konkreten Fall hatte eine Frau in Hessen Post von einem Grabstein-Unternehmen bekommen, als die Todesanzeige eines Angehörigen erschienen war.
Bundesgerichtshof,
Aktenzeichen: 1 ZR 29 / 09
Erbrochen im Taxi
Wer sich betrunken in einem Taxi übergibt, muss für die Reinigungskosten und den Verdienstausfall des Fahrers aufkommen. Ein Mann hatte sich nach dem Münchner Oktoberfest heimfahren lassen. Vor Gericht gab er an, "nur zwei Maß" getrunken und den Taxifahrer beim ersten Übelkeitsgefühl um das Anhalten gebeten zu haben. Der Fahrer habe das abgelehnt. Vor Gericht stritten die Parteien um 241 Euro. Die Richter entschieden, dass Fahrer und Gast den Schaden teilen müssten, da sich nicht feststellen ließ, wie eindringlich und drängend die Bitten zum Anhalten waren.
Amtsgericht München,
Aktenzeichen: 271 C 11329 / 10
Führerschein weg
Ein einziges Mal zu schnell auf der Autobahn unterwegs, 48 Kilometer je Stunde zu viel - und der Führerschein ist weg. Neben einer Geldbuße von 100 Euro wurde einem Autofahrer ein Fahrverbot von einem Monat aufgebrummt. Da halfen weder die Reue noch der Hinweis auf den drohenden Arbeitsplatzverlust. Die Richter ließen sich nicht erweichen. Der Einwand einer dann bevorstehenden Kündigung des Jobs reicht für sich gesehen nicht aus, um das Fahrverbot in eine erhöhte Geldbuße umzuwandeln, entschieden die Richter. So etwas gebe es nur in begründeten Ausnahmefällen.
Oberlandesgericht Frankfurt (Main)
Aktenzeichen: 2 Ss OWI 239 / 09
Party-Bike
Alle treten, alle trinken: Auf sogenannten Party-Bikes ist der Alkoholkonsum oft genau so wichtig wie das Vorankommen. Rechtlich dürften die Vehikel für bis zu 16 Mitfahrer einem Fahrrad am nächsten kommen. Das heißt, dass jemand, der das Party-Bike betrunken lenkt, Geldstrafen und sogar den Verlust des Führerscheins riskiert, erklärt Jörg Elsner, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein. Allerdings könnte es sein, dass die Bikes künftig im Straßenbild nur noch selten anzutreffen sind. Zumindest in Düsseldorf dürfen die "rollenden Partytheken" vorerst nur noch mit Sondergenehmigung auf die Straße - das hat das dortige Verwaltungsgericht jüngst entschieden.
Verwaltungsgericht Düsseldorf,
Aktenzeichen: 16 K 6710 / 09
Nachtwäsche
Im Streit um das Klassifizieren von Nachthemden hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Nachthemden Kleidungsstücke sind, "die im Bett getragen werden". Der Bundesfinanzhof hatte sich mit dem Streit zwischen einem Importeur von "Kleidungsstücken aus Gewirken zur Bedeckung des Oberkörpers" und dem Hauptzollamt befassen müssen. Der Importeur wollte den Zollsatz für Nachthemden zahlen, das Hauptzollamt verlangte den höheren Satz für Kleider. Da der Bundesfinanzhof mit der Entscheidung dieser Einteilung überfordert schien, leiteten sie die Fragestellung an den Europäischen Gerichtshof. Und der entschied wie oben geschrieben mit dem Hinweis, dass leichte oder weite Kleidungsstücke "zur Bedeckung des Oberkörpers, bis zur Mitte des Oberschenkels reichend" nicht als Nachthemden gelten.
Europäischer Gerichtshof,
Aktenzeichen: Rs, C-338 / 95
Hund im Speisesaal
Dass Hunde nicht in den Speisesaal eines Hotels mitgenommen werden dürfen, ist keine Neuheit. Wie verhält es sich jedoch, wenn der Gast einen Aufschlag für die Mitnahme des Hundes in das Hotel gezahlt hat? Über diese Frage waren sich Hotelbetreiber und Zwergpudel-Eigentümer uneins. So ging der Gast davon aus, dass der Hund aufgrund der erbrachten Summe von rund sechs Euro pro Tag mit in den Speisesaal genommen werden darf. Er wollte den Hund dort verpflegen. Die Betreiber des Hotels jedoch verboten dem Gast die Mitnahme des Zwergpudels in den Speisesaal. Daraufhin verklagte der Gast den Reiseveranstalter auf Rückerstattung des Geldes. Das Gericht gab dem Hotelbetreiber Recht.
Landgericht Frankfurt / Mainz,
Aktenzeichen: 2 / 25 S 59 / 99
Parkplatz
Wer ein überdurchschnittlich großes Auto fährt, muss sich selbst davon überzeugen, ob er dieses auf einem gemieteten Stellplatz überhaupt abstellen kann. Sonst geht es ihm wie einem Besitzer eines Porsche Cayenne. Er hatte im Oktober 2006 für ein Jahr einen Tiefgaragenstellplatz zu einem monatlichen Mietpreis von 115 Euro gemietet. Fünf Tage später kündigte der dem Vermieter den Vertrag wieder fristlos. Miete zahlte er nicht. Er gab an, sein Fahrzeug habe eine Breite von 193 Zentimeter und passe nicht auf den Stellplatz. Der Vermieter zog vor Gericht und erwiderte, dass der Beklagte zumindest rückwärts einparken könne. Der zuständige Richter des Amtsgerichts München gab dem Vermieter Recht und verurteilte den Mieter zur Zahlung des Mietzinses: Die Kündigung habe das Mietverhältnis nicht beendet; egal ob der Porsche auf den Parkplatz passe oder ob der Kläger erklärt habe, ein Abstellen des Fahrzeugs sei möglich. Selbst in diesem Fall stelle es jedenfalls eine grobe Fahrlässigkeit seitens des Mieters dar, wenn er sich auf eine solche Äußerung verlasse. Bei einem Fahrzeug mit derart überdurchschnittlichen Abmessungen hätte er den Stellplatz selbst vor Vertragsschluss ansehen müssen.
Amtsgericht München,
Aktenzeichen: 423 C 11099 / 07
Raumtemperatur
Auch in einer Spielhölle darf es nicht zu heiß sein. Der Vermieter einer Spielhalle hat dafür zu sorgen, dass die Temperatur in den Automatenräumen nicht zu hoch ist.
Ein Spieler hatte aufgrund von Sauna-Temperaturen geklagt und Recht bekommen. Das Oberlandesgericht Hamm hat den Vermieter einer Spielhalle dazu verurteilt, in den Automatenräumen dafür zu sorgen, dass bei einer Außentemperatur bis zu 32 Grad die Innentemperatur regelmäßig 26 Grad nicht übersteigt und bei höheren Außentemperaturen die Innentemperatur regelmäßig mindestens sechs Grad unter der Außentemperatur liegt. Zur Begründung hat der Mietsenat ausgeführt: Gewerblich gemietete Räume müssen so beschaffen sein, dass darin die nach dem Vertrag vorgesehene Nutzung in zulässiger Weise ausgeübt werden kann. Zur akzeptablen Temperatur kann nach Auffassung des Gerichts auf die Bestimmungen der Arbeitsstättenverordnung zurückgegriffen werden, wonach die Lufttemperatur in Arbeitsräumen 26 Grad in der Regel nicht überschreiten soll. Zudem soll der Temperaturunterschied zwischen Außenluft und Raumluft maximal sechs Grad betragen, um einen "Kälteschock" für Personen zu vermeiden, die einen gekühlten Raum verlassen.
Oberlandesgerichts Hamm,
Aktenzeichen: 30 U 131 / 06
Sexspielzeug
Eine Supermarktkassiererin hatte während einer Arbeitspause einer Arbeitskollegin ihren neuen Vibrator präsentiert und ihr anschaulich von den Vorzügen des Gerätes berichtet. Sie wurde entlassen. Die muntere Vorführung fand zwar im Pausenraum statt, dennoch wurden auch Kunden aufmerksam und ließen sich von den Ausführungen der Dame unterhalten. Die Freizügigkeit hatte Konsequenzen: Ihr "Spielzeug" kostete die Kassiererin den Arbeitsplatz. Ihr wurde fristlos gekündigt, und zwar zu Recht, wie das Arbeitsgericht Frankfurt feststellte. Allein das Vorzeigen sexuell motivierter Gerätschaften an der Arbeitsstelle könne bereits eine sexuelle Belästigung darstellen und daher Grund für eine fristlose Kündigung sein.
Arbeitsgericht Frankfurt (Main),
Aktenzeichen: 19 Ca 2539 / 05