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Ungarn setzt am Theiß-See auf Öko-Tourismus

Von Gregor Mayer 17.08.2007, 06:57

Tiszafüred/dpa. - Langsam gleitet das Holzboot mit dem kleinen Außenborder in die Einbuchtung des Kanals. Auf dem Schleusentor hockt ein Graureiher, als wollte er den Eingang in die Wasserwelt dahinter bewachen.

Tatsächlich sticht das Boot in diesem Teil Ost-Ungarns in ein kleines Paradies vor: Erlen und Weiden strecken ihre Wurzeln weit ins Gewässer, zum Teil knicken sie dabei ein, so dass ihre Laubkrone beinahe die Wasseroberfläche streift. Prächtige Vögel flattern aus dem Gebüsch, darunter ein azurblauer Eisvogel, schwarze Kormorane und ein spitzschnabeliger Nachtreiher.

«Diese Tiere gewöhnen sich an den Menschen», meint Lajos Szabo, der das Boot routiniert steuert, aber ansonsten Projektmanager der ungarischen Tourismus-Region Theiß-See ist. «Bis zum Ende des Sommers lassen sie einen schon ziemlich nahe rankommen.»

Die 1308 Kilometer lange Theiß - auf Ungarisch: Tisza -, von deren Lauf etwa 600 Kilometer auf Ungarn entfallen, und der künstlich aufgestaute Theiß-See bei Tiszafüred bilden eine der schönsten Naturlandschaften des Magyaren-Landes. Seit dem EU-Beitritt im Jahr 2004 kann Ungarn vermehrt Fördergelder für die Entwicklung seines Fremdenverkehrs in Anspruch nehmen. Projekte, die die Betonung auf eine nachhaltige und schonende Nutzung legen, haben dabei Priorität.

In früheren Zeiten quälte die Theiß ihre Anwohner regelmäßig mit katastrophalen Überschwemmungen. Ihre Regulierung im 19. Jahrhundert führte zur Vernichtung eines Großteils ihrer Auenlandschaften - es entstand jene große Puszta, die heute als einzigartige Steppenlandschaft inmitten Europas bewundert wird. Im Jahr 1973 errichteten die Ungarn bei Kisköre ein Flusskraftwerk. Infolge der Aufstauung entstand der Theiß-See, mit 127 Quadratkilometer Ausdehnung Ungarns zweitgrößter See nach dem Plattensee.

Der ursprüngliche Fluss, der Stausee, dessen Inseln und die Kanäle zwischen den beiden Gewässern verwuchsen über die Jahrzehnte zu einem Sammelsurium von Auenlandschaft, Schilfflächen, Wiesen und Sümpfen. Es entstand ein Biotop mit sechs Vegetationszonen, das zur Heimat zahlreicher geschützter Pflanzen- und Tierarten wurde.

Lange Zeit erfreuten sich nur ortsansässige Angler und ein paar Deutsche und Österreicher, die sich Wochenendhäuser gekauft hatten, des dort vorhandenen Fischreichtums. Doch 1998 schuf die ungarische Regierung die Tourismus-Region Theiß-See, um eine einheitliche Investitions- und Marketingpolitik für das Gebiet zu ermöglichen. Denn die 68 Gemeinden, die ihr angehören, liegen in vier Bezirken und zwei EU-Regionen, was eine koordinierte Strategie zuvor erheblich erschwert hatte.

Im Januar 2000 strömte Zyan-Lauge aus dem geborstenen Staubecken eines Goldbergwerks in Nordwest-Rumänien durch die ungarische Theiß. Dramatische Bilder von Tonnen von verendeten Fischen gingen um die Welt. Doch der Fluss erholte sich rasch von dem Umweltdesaster. Nicht zuletzt der Theiß-See, den die E-Werk-Techniker vor dem nahenden Zyan-Pfropfen abgeriegelt hatten, diente der Natur als Reservoir für die Wiederbelebung des kurzzeitig toten Flusses.

Sieben Jahre später lädt der Theiß-See die Erholungssuchenden dazu ein, die Seele baumeln zu lassen. Meist in privater Initiative, koordiniert vom Projektbüro der Tourismus-Region und unterstützt durch Mittel aus den ungarischen EU-Fonds, entstanden Unterkünfte, Boots- und Yachthäfen, Radwege sowie Lehrpfade und Aussichtswarten zur Erkundung der Naturschönheiten. Bereits vor dem EU-Beitritt wurde das Schwemmland des Flusses mit EU-Hilfe rehabilitiert.

So lässt sich der See auf Radwegen, die zum Großteil auf Deich- und Dammkronen verlaufen, bis auf einen kürzeren Abschnitt komplett umrunden. Bei Poroszlo führt ein 1,5 Kilometer langer Holzsteg in das Schilf- und Inselland des Sees, das sich somit trockenen Fußes erkunden lässt.

Projektmanager Lajos Szabo ist überzeugt davon, dass sich die Interessen von Fremdenverkehr und Umweltschutz vereinbaren lassen. Dies sei nur eine Frage der gezielten Nutzung, meint er. «Wenn ich fünf Prozent des Areals opfere, reicht das völlig aus, dass die Besucher das Wichtigste sehen können und mit unvergesslichen Erlebnissen wieder heimfahren», lautet sein Credo.

Informationen: www.tisza-to-info.hu, www.ungarn-tourismus.de.