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Tschechien und Deutschland Tschechien und Deutschland: Bei «Karlsbader Oblaten» hört die Freundschaft auf

Von Petr Jerabek 04.12.2007, 16:58
Karlsbader Oblaten der Firma Wetzel Oblaten- und Waffelfabrik GmbH liegen auf einem Tisch. (Foto: ddp)
Karlsbader Oblaten der Firma Wetzel Oblaten- und Waffelfabrik GmbH liegen auf einem Tisch. (Foto: ddp) ddp

Dillingen/Brüssel/ddp. - Bei der gold-gelben Waffelspezialitäthört die gute Nachbarschaft auf. Es geht um Marktanteile, um Geld undArbeitsplätze - aber auch um Geschichtsbewältigung und Patriotismus.Vor drei Jahren schon hatte Tschechien bei der EU den Schutz desNamens «Karlsbader Oblaten» als Ursprungsbezeichnung beantragt, jetztwehrt sich Deutschland mit einem Einspruch dagegen in Brüssel. Dennunter einem Namensschutz hätte insbesondere die Firma Wetzel imschwäbischen Dillingen an der Donau zu leiden. Längst hat derOblaten-Streit die Politik erreicht - und sorgt für einen rauen Tonzwischen Parlamentariern beider Länder.

Seit Marlene Wetzel-Hackspacher denken kann, backt und verkauftihre Familie «Karlsbader Oblaten» - einst im Kurort Marienbad, seit60 Jahren in Dillingen. Bei ihrer Vertreibung hatte sie in einemKinderwagen heimlich ein Original-Waffeleisen nach Deutschlandgeschmuggelt, um die Familientradition fortführen zu können. DieGeschäfte führt mittlerweile ihr Sohn Hans Hackspacher, doch die85-Jährige mischt immer noch mit.

Nach dem Willen mehrerer tschechischer Hersteller sollen künftigaber nur noch Waffeln aus der Region um das tschechische Karlsbad(Karlovy Vary) den Namen «Karlsbader Oblaten» tragen dürfen. «Damitdie Qualität und die speziellen Eigenschaften des Produkts gewahrtbleiben, ist es unerlässlich, dass zumindest das Teigmischen, dasBacken, das Ablagern und das Zusammenbacken der Oblaten in demabgegrenzten Gebiet erfolgen», heißt es im tschechischen Antrag.Zudem spiele bei der Herstellung auch das KarlsbaderMineral-Heilwasser eine wichtige Rolle.

Für Hackspacher eine haarsträubende Argumentation. Zum einenproduziere auch keiner der tschechischen Hersteller tatsächlich inKarlsbad. Zum anderen sei das Heilwasser in keiner Rezeptur jeerwähnt worden. Auch gelte das Heilwasser als Arzneimittel und dürfefür Lebensmittel überhaupt nicht verwendet werden. Nach Auffassungdes Firmenchefs ist der Name «Karlsbader Oblaten» ein Gattungsbegrifffür die mit Zucker, Butter und Nüssen gefüllte, kreisrundeWaffelspezialität.

Die tschechischen Firmen wollten den deutschen Markt für sichhaben, glaubt Hackspacher. Für sein Unternehmen stehe viel auf demSpiel: Es drohe das Aus für die schwäbische Oblaten-Produktion. EineUmbenennung des Produkts sei keine Option: «Wer will denn 'DillingerOblaten' kaufen?» Mindestens 30 Jobs seien bedroht.

Einen engagierten Fürsprecher haben die Wetzel-Oblaten imCSU-Europaabgeordneten Bernd Posselt. Bereits vor zwei Jahren hatteer an die EU-Kommission appelliert, die spezielle Problematik derVertreibung in diesem Fall zu berücksichtigen - und traf dieTschechen an einem empfindlichen Punkt. Denn in Prag vermutet manhinter der Wortmeldung eine Kampagne der SudetendeutschenLandsmannschaft, deren Chef Posselt ist.

Der tschechische Europaabgeordnete Jan Brezina sprach prompt voneinem «weiteren Fall in der Reihe der aggressiven Ausfälle derSudetendeutschen gegenüber Tschechien». Seine Parlamentskollegin JanaBobosíková warf Posselt gar vor, er stelle «die territorialeGliederung Europas nach dem Krieg und die Gültigkeit des PotsdamerAbkommens in Frage». Und tschechische Nationalisten machten Stimmunggegen ganz Deutschland. Das rechte Internetmagazin «E-portál»veröffentlichte neben einem Hitler-Bild die Schlagzeile: «DieDeutschen wollten uns ausrotten, jetzt wollen sie unsere Oblaten.»

Posselt zeigt für die Aufregung in Tschechien wenig Verständnisund fordert vom Nachbarn ein Entgegenkommen: «Hier könnten dieTschechen ein Zeichen der Versöhnung setzen, ohne dass es sie etwaskosten würde», sagt er. Die EU habe die besondere Situation einerVertreibung bei der Richtlinie über den Schutz regionaler Erzeugnissenicht bedacht. Brezina aber winkt ab: Der Fall müsse unter «reintechnischen Aspekten» beurteilt werden. Politik und der historischeKontext müssten da herausgehalten werden.

Hackspacher jedenfalls will weiter kämpfen, notfalls auch vor demEuropäischen Gerichtshof: «Ich werde nicht die Flinte ins Kornschmeißen.» Nicht nur, weil er sich im Recht fühle, sondern auchseiner Mutter zuliebe. «Das Ende der Oblaten-Produktion würde sieseelisch nicht verkraften», sagt er. «Das wäre für sie wie einezweite Vertreibung.»

Eine Frau hält eine Karlsbader Oblate der Firma Wetzel Oblaten- und Waffelfabrik GmbH in der Hand. (Foto: ddp)
Eine Frau hält eine Karlsbader Oblate der Firma Wetzel Oblaten- und Waffelfabrik GmbH in der Hand. (Foto: ddp)
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