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Plagiatsvorwurf Plagiatsvorwurf: Historiker schreiben bei Wikipedia ab

Von Michael Hesse 23.04.2014, 15:18

Köln - „Alle, die zwei und zwei zusammenzählen können, wissen: ohne Quellen keine noch so marktgängige Darstellung“, sagte Olaf Rader in einem Interview mit der FAZ im Herbst 2013. Wie wahr. Rader ist ein angesehener und angesagter Forscher in mittelalterlicher Geschichte, der Professor schreibt spannende historische Sachbücher. Spätestens seit seiner Biografie über Friedrich den Staufer ist er ein Star der Szene. Und nun möglicherweise in einen Plagiatsskandal verwickelt.

Rader, der an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften arbeitet, hatte im Herbst gemeinsam mit seinem Wuppertaler Kollegen Arne Karsten, einem Junior-Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit, das Buch  „Große Seeschlachten“ vorgelegt. Geschmäcklerisch und leseranbiedernd zu schreiben, sei nicht sein Fall, sagt Rader.  Er sagt, er schreibe für die Ewigkeit. Doch hierfür hat er sich, so der Vorwurf, einer allzu weltlichen Quelle bedient: Wikipedia.  Facebook-Nutzer  Arne Janning hatte sich auf Doublettensuche in wissenschaftlichen Werken gemacht. Und hierbei auch Passagen aus den Büchern von Rader, die er bei Amazon gefunden hatte, mit Wikipedia-Artikeln abgeglichen. Mitunter kamen einhundertprozentige Übereinstimmungen heraus, ohne dass die Quelle genannt wurde, wie es sonst wissenschaftlichen und urheberrechtlichen Ansprüchen entspricht.

Der Facebook-Nutzer nennt   konkrete Beispiele aus dem Buch „Große Seeschlachten“:  „Die Tatsache, dass die Rumpfgeschwindigkeit nur von der Wasserlinienlänge abhängt, ist der Grund, warum längere Schiffe – bei entsprechend starkem Antrieb durch Wind oder Ruderer – höhere Geschwindigkeiten erreichen können als kürzere Schiffe. [...] Dies spiegelt sich in dem noch heute geläufigen Seglerspruch 'Länge läuft' wider“, ist bei dem Autorenduo Karsten/Rader zu finden. Die Passage lässt sich bei google.books für jedermann finden. Und auf der Website von Wikipedia findet sich der Text: „Die Tatsache, dass die Rumpfgeschwindigkeit nur von der Wasserlinienlänge abhängt, ist der Grund, warum größere Schiffe – bei entsprechend starkem Antrieb durch Wind oder Motorleistung – in Verdrängerfahrt höhere Geschwindigkeiten erreichen können als kleinere Schiffe. Dies spiegelt sich in der Redewendung „Länge läuft“ wider.“ Janning legt nach und behauptet, auf jeder Seite des Buches würden sich ungedeckte Wikipedia-Übernahmen finden.

„Standards von denen man nicht abweicht“

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft habe zudem beiden Autoren Urlaube finanziert, heißt es weiter.   Rader selbst war nicht zu erreichen. Autor Arne Karsten zeigt sich empört: „Ich werde eine Nacht darüber schlafen und dann überlegen, wie ich vorgehe“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Wir haben kein Geld von irgendeiner Forschungsförderungsinstitution für die Recherchen und das Schreiben des Buchs bekommen.“  . „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat selber heute ebenfalls durch den Facebook-Eintrag von Herrn Janning von dem Plagiatsvorwurf gegen Herrn Karsten und Herrn Rader erfahren. Sie muss nun als erstes prüfen, ob es in dieser Sache tatsächlich einen DFG-Bezug gibt“, sagte Pressesprecher Marco Finetti von der DFG.

Inzwischen gibt es auch auf Wikipedia eine erste Reaktion. Das interne Nachrichtenblatt der Plattform, der „Wikipedia:Kurier“, fordert die „Plagiatsjäger unter den Wikipedianern“ auf, die Anschuldigungen Jannings zu überprüfen.

Es geht nicht allein ums falsche Zitieren

Den Wert des Buches sieht Karsten nicht geschmälert. „Hier sind natürlich zahlreiche technische Detailangaben übernommen worden.  Nimmt das dem wissenschaftlichen Wert des Buches irgendetwas?“ Die angegriffenen Passagen scheinen überwiegend von Rader zu stammen. Allerdings will auch Karsten für sich nicht ausschließen, dass ungekennzeichnetes Material hineingenommen wurde. „Ich würde nicht meine Seele verwetten, dass sich zum Beispiel bei der niederländischen Flotte eine Satz-Passage findet, die baugleich ist mit einer anderen Satz-Passage. Es gibt Standards, von denen man nicht abweicht.“ Karsten weiter:  „Muss ich jetzt bei jeder Quelle oder Information aus der Literatur, die ich anführe, überprüfen, ob sie in dieser oder ähnlicher Form bei Wikipedia zitiert wird? Das geht doch gar nicht!“

Allerdings geht es nicht allein um wissenschaftliches Fehlverhalten im Zitieren. Rader und Karsten könnten auch gegen Wikipedia-Bestimmungen verstoßen haben. Grundsätzlich dürfen alle Texte der Wikipedia gemäß der Creative Commons Lizenz „CC-BY-SA 3.0“ (Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported) genutzt werden. Dies ist in diesem Fall nicht geschehen.

Damit nicht genug. Ins Visier gerät besonders Autor Olaf Rader. Die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Katrin Passig prüfte weitere Stellen aus Raders Meisterwerk „Kaiser Friedrich II.“ und kam ebenfalls zu einem erstaunlichen Ergebnis: „Wenn man Textstellen aus der Amazon-Leseprobe von Olaf B. Raders „Kaiser Friedrich II.“ googelt, findet man auch die in verschiedenen Wikipedia-Einträgen. Ich bin bisher bei jeder halbwegs charakteristischen Stelle fündig geworden. Nur bei einer davon habe ich nachgesehen, wer der Autor dieser Stelle im Wikipedia-Eintrag war. Die Änderung ist von 2005 (das Buch erschien 2012), und der Verfasser (Nutzer Benowar) ist ziemlich eindeutig nicht Rader.“ Der Verlag C.H. Beck nimmt die Vorwürfe ernst und  will sie in der nötigen Ruhe prüfen, heißt es aus München.

In dem besagten FAZ-Interview antwortete Rader auf die Frage, ob man in Akademiekreisen als erfolgreicher Verfasser von Sachbüchern manchmal schief angesehen werde. „Nein, in der Regel gilt eher: Sieh mal an, was man aus unseren Dingen so alles machen kann.“ Rader wollte für die Ewigkeit schreiben, möglich, dass ihm nun Fehler unterlaufen ist, der ihm länger nachhängt, als ihm lieb ist.

CC steht für Creative Commons (auf deutsch etwa: schöpferisches Gemeingut). Es handelt sich um eine gemeinnützige Organisation, die 2001 in den USA gegründet wurde. Sie bietet vorgefertigte Lizenzverträge als Hilfestellung für die Veröffentlichung und Verbreitung digitaler Medieninhalte an. CC hat sechs verschiedene Standard-Lizenzverträge entwickelt, die bei der Verbreitung kreativer Inhalte genutzt werden können, um die rechtlichen Bedingungen festzulegen. Einige der Lizenzen schränken die Nutzungsmöglichkeit der Werke stark ein, andere erlauben einen sehr freien Umgang mit dem Original. Wikipedia verwendet zum Beispiel die Lizenz CC-BY-SA. Diese Lizenz erlaubt die Nutzung und Veränderung der Wikipedia-Einträge unter der Bedingung, dass der Urheber des Textes genannt und das genutzte oder bearbeitete Werk nur unter der gleichen Lizenz veröffentlicht wird. Durch die CC-Lizenzverträge haben die Urheber die Möglichkeit, ihre Werke anderen Nutzern zur Verfügung zu stellen, ohne die Rechte völlig aus der Hand zu geben.

CC hat sechs verschiedene Standard-Lizenzverträge entwickelt, die bei der Verbreitung kreativer Inhalte genutzt werden können, um die rechtlichen Bedingungen festzulegen. Einige der Lizenzen schränken die Nutzungsmöglichkeit der Werke stark ein, andere erlauben einen sehr freien Umgang mit dem Original. Wikipedia verwendet zum Beispiel die Lizenz CC-BY-SA. Diese Lizenz erlaubt die Nutzung und Veränderung der Wikipedia-Einträge unter der Bedingung, dass der Urheber des Textes genannt und das genutzte oder bearbeitete Werk nur unter der gleichen Lizenz veröffentlicht wird. Durch die CC-Lizenzverträge haben die Urheber die Möglichkeit, ihre Werke anderen Nutzern zur Verfügung zu stellen, ohne die Rechte völlig aus der Hand zu geben.

Plagiat bezeichnet im wörtlichen Sinne den Diebstahl geistigen Eigentums. Grundsätzlich ist damit die Aneignung fremder geistiger Leistungen gemeint, die ohne Nennung des Urhebers übernommen und als eigene Ideen ausgegeben werden. Plagiate können, müssen aber nicht, gegen ein Gesetz verstoßen. Oft handelt es sich bei Aneignung fremder Werke aber um einen Verstoß gegen das Urheberrecht. Für den Tatbestand der Urheberrechtsverletzung spielt es dabei keine Rolle, ob das Plagiat bewusst begangen wurde. Von einem Plagiat spricht man auch dann, wenn in wissenschaftlichen Werken Quellen nicht oder nicht ausreichend angegeben sind.