Sprachgefühl: Zweisprachig aufwachsen hilft
Mainz/dpa. - Zweisprachig aufwachsende Kinder entwickeln nach Meinung von Experten oft deutlich früher ein ausgeprägtes Sprachgefühl als Gleichaltrige, die nur eine Sprache lernen.
Es gebe zudem keine Hinweise darauf, dass eine zweisprachige Erziehung größere Risiken für eine Sprachentwicklungsstörung berge, sagte die Mainzer Fachärztin für Sprachstörungen, Prof. Annerose Keilmann. Bei einer mehrsprachigen Erziehung sei es jedoch besonders wichtig, die Kinder in beiden Sprachen gleichermaßen zu fördern. Rund 250 Wissenschaftler treffen sich bis Samstag in Mainz zur 5. Interdisziplinären Tagung über Sprachstörungen an der Johannes Gutenberg-Universität.
Studien zufolge leiden zehn Prozent aller Kindergartenkinder unter einer Sprachentwicklungsstörung, obwohl sie gesund sind und sich ansonsten normal entwickeln. Weitere zehn Prozent können aufgrund anderer Beeinträchtigungen nicht ihrem Alter gemäß sprechen. Für die Wissenschaftler haben unter anderem solche Kinder ein erhöhtes Risiko, eine Sprachentwicklungsstörung zu bekommen, wenn sie mit zwei Jahren noch keine 50 Wörter beherrschen und nicht zwei Wörter aneinanderhängen können.
Diese Schwächen können jedoch nach den Worten von Keilmann meist gut behandelt werden - entweder, indem das Kind von einer Logopädin behandelt wird oder die Eltern einen speziellen Kurs besuchen und dann selbst mit ihrem Nachwuchs üben. Grundsätzlich gilt: Sprachen werden im Dialog gelernt, und nicht etwa durch das Abhören von Kassetten. «Es nutzt auch wenig, wenn ich mit meinem Kind ein Bilderbuch anschaue und es die ganze Zeit vollplappere. Das Kind muss auch ermuntert werden, zu sprechen», sagte Keilmann. Fernsehen sei nicht grundsätzlich zu verdammen - es könne auch die Entwicklung des Kindes fördern, etwa wenn anschließend über die Sendung gesprochen werde.
Nach der Einschätzung der Professorin für Kommunikationsstörungen an der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Mainzer Universität haben Sprachstörungen in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland zugenommen. Dies sei auch deshalb ein bedeutsames Problem, weil etwa die Hälfte dieser Kinder in der Schule eine Lese- oder Rechtschreibschwäche entwickelte. Bei den Störungen liegen laut Experten nicht nur Ausspracheprobleme oder Grammatikschwierigkeiten vor, auch die Bildung des aktiven und passiven Wortschatzes kann verzögert sein.