Selbstständigkeit Selbstständigkeit: Auch in «Hotel Mama» muss es klare Strukturen geben

Neuss/dpa. - Auf eigenen Füßen stehen, finanziell unabhängigsein - das wünschen sich alle Eltern für ihre erwachsenen Kinder.Doch lange Ausbildungszeiten, Dauer-Praktika oder Arbeitslosigkeitbewirken, dass «immer mehr junge Erwachsene lange auf die finanzielleUnterstützung der Eltern angewiesen sind», sagt Anne Huth,Diplom-Psychologin aus Neuss. Klare Regeln helfen, Konflikte zuvermeiden.
Mit Mitte 20 den Abschluss in der Tasche, danach ein Klasse-Job,und am Ende des Monats das regelmäßige Gehalt: So sieht der perfekteLebenslauf für Junior in der elterlichen Vorstellung aus. Doch dieRealität ist häufig anders und das hat vielfältige Gründe: ÜberfüllteStudiengänge erschweren die Regelstudienzeit einzuhalten, auf einenAusbildungsplatz kommen hunderte Bewerber - selbst nach erfolgreicherAusbildung ist nicht immer ein Arbeitsplatz in Sicht undDauer-Praktika und Arbeitslosigkeit sind die Folge.
«Junge Erwachsene sind heute erschwerten Bedingungen ausgesetzt»,sagt Christiane Papastefanou, Privatdozentin am Lehrstuhl fürErziehungswissenschaften der Universität Mannheim. Für viele Elternfolgt daraus eine teure Konsequenz: Bis die Kinder auf eigenen Füßenstehen, können Jahre vergehen. Die finanzielle Unterstützung bis zum30. Lebensjahr scheint keine Seltenheit zu sein.
«Ohne die Hilfe der Eltern geht es nicht», sagt auch Jan-UweRogge, Autor und Familientherapeut aus Bargteheide(Schleswig-Holstein). Ob Studiengebühren, Kosten für Lehrmaterial,Kleidung, Bewerbungsmappen, Miete oder Essen - eine gute Ausbildunggeht über die Jahre mächtig ins Geld. BAföG und Einnahmen ausNebenjobs reichen dafür häufig nicht aus. «Ohne die monatlicheFinanzspritze meiner Eltern wäre ich derzeit aufgeschmissen, könntemein Studium nicht zu Ende machen», sagt der 26-Jährige Björn ausKöln, der mitten in der Diplomarbeit steckt.
Eltern sind rechtlich dazu verpflichtet, ihre Kinder bis zumAbschluss der ersten berufsqualifizierenden Ausbildung zufinanzieren. Das BAföG als staatliche Ausbildungsförderung greift oftnur ausgleichend mit kleineren Beträgen - und auch nur dann, wenn daselterliche Einkommen bestimmte Grenzwerte nicht überschreitet.
Müssen Eltern nicht nur ein Kind, sondern mehrere durch dieAusbildung bringen, wird es bei manchen eng. «Vor Beginn derAusbildung sollten Eltern und Kind sich an einen Tisch setzen undüber die Finanzen reden», empiehlt Rogge. Wie lange dauern Ausbildungoder Studium? «Machen Sie einen Zeitplan über die Förderungsdauer.» Um keinen unnötigen Druck aufzubauen, sollten Eltern dem Nachwuchsgegenüber kulant sein. «Geben Sie bei acht Semestern Regelstudienzeitnoch ein Plus von zwei Semestern dazu, bevor Sie den Schlussstrichziehen», rät Huth. Auch über die Finanzierungshöhe sollte gesprochenwerden. Wie viel Geld wird benötigt? Was leisten Kindergeld undBAföG? Wie viel Unterstützung können sich die Eltern leisten? Alleszusammen sollte die Kosten für Miete, Essen und Ausbildung decken.
Besondere Kleidung, der Sommerurlaub, Geld für neue Computer oderPartys gehört nicht dazu. «Eltern sollten nicht zu 100 Prozent füralles aufkommen, sondern die Auflage machen, dass die Kinder ihrenTeil dazu beitragen», sagt Rogge.
Ob der regelmäßige Nebenjob oder die Arbeit in den Semesterferien- wenn junge Erwachsene neben der Ausbildung Berufsluft schnuppern,entspannt das nicht nur die finanzielle Situation. «Der eigeneZuverdienst fördert vor allem die Selbstständigkeit und stärkt dasSelbstwertgefühl», sagt Huth.
Wohnt der Nachwuchs noch im «Hotel Mama» helfen klare Strukturen,Konflikte zu vermeiden. «Erwachsene Kinder sollten ihre festenAufgaben im Haushalt haben und bei eigenem Verdienst auch Essensgeldoder einen Mietzuschuss an die Eltern zahlen», rät Huth. Wer seinemKind täglich warme Mahlzeiten vorsetzt, die Wäsche wäscht und das«Kinderzimmer» aufräumt, leistet dem Klebenbleiben Vorschub. «Sokönnen Kinder nicht erwachsen werden», warnt die Psychologin.
Steht der Nachwuchs nach dem Auszug plötzlich wieder mit denKoffern vor der Tür, sollten Eltern sich gut überlegen, ob einerneuter Einzug wirklich sinnvoll ist. «Versuchen Sie lieber,gemeinsam eine Alternative, zum Beispiel ein WG-Zimmer, zu finden.»Denn der Rückzug ins Elternhaus nagt am Selbstbewusstsein und kommtdem Eingeständnis gleich, gescheitert zu sein.
Auch bei Notlagen, zum Beispiel wenn Schulden beglichen werdenmüssen, helfen Absprachen. «Eltern dürfen hier natürlich großzügighelfen, sollten aber mit ihren Kindern Vereinbarungen überRatenzahlungen oder Gegenleistungen treffen», rät Rogge. Wenn Juniormonatlich einen festen Betrag zurückzahlt oder die Hilfe der Elternmit Arbeiten in Haus und Garten wett macht, bleibe kein Gefühl derSchuld zurück. «Das entlastet die Beziehung und die Kinder lernengleichzeitig, die Verantwortung für ihr Handeln selbst zu tragen».
Doch was können Eltern tun, wenn der Nachwuchs einfach nichterwachsen wird? «Hier gilt es genau hinzuschauen, wo die Gründeliegen könnten», sagt Papastefanou. Oft stecken tieferliegendeProbleme dahinter, zum Beispiel Prüfungsängste oder andereUnsicherheiten. «Stellen Sie Ihr Kind zur Rede, fragen Sie nach denUrsachen», rät Huth. Wenn das Studium ins 15. Semester geht, diedritte Ausbildung abgebrochen oder die Arbeitslosigkeit zumDauerzustand wird, sollten sich Betroffene Hilfe suchen, rät Rogge.«Berater, Coaches oder Therapeuten helfen, Lösungen zu finden.»