Thüringen Thüringen: Beim Opa von Europa
Halle (Saale)/MZ. - Preisfrage: Was haben Elisabeth II., Harald von Norwegen, Margarethe von Dänemark, Carl-Gustaf von Schweden, Juan Carlos von Spanien, die Alberts von Monaco und Belgien oder Königin Beatrix gemeinsam? Klar: Sie sind allesamt gekrönte Häupter. Des Pudels Kern aber: Alle ihre Monarchien gehen zurück auf einen Stammvater. Sein Name: Herzog Ernst der Fromme von Sachsen-Gotha - der legendäre "Opa von Europa". Nachhaltiger als alle Kriege "eroberte" das Haus Sachsen-Coburg und Gotha die europäischen Herrscherhäuser. Einer der prominentesten Vertreter: Prinzgemahl Albert, der als große Liebe von Queen Victoria von 1840 bis 1861 mit seiner Gemahlin über das britische Weltreich herrschte.
Lange vor Weimar jedenfalls war Gotha ein gesellschaftliches und kulturelles Zentrum von Weltruf und Herzog Ernst der Fromme sein Spiritus rector. Ihm verdankt Gotha die gewaltige frühbarocke Dreiflügelanlage von Schloss Friedenstein, deren historische Einrichtungen wie Schlosskirche, Archiv, Bibliothek, Prunkräume und das Hoftheater mit barocker Bühnentechnik allesamt bestens erhalten sind.
Der reformfreudige und kunstsinnige Herrscher gründete auch die weltberühmten Gothaer Sammlungen mit einzigartigen Schätzen: Ägyptische Altertümer und Antiken. Gemälde von Cranach und Kupferstiche von Dürer. Plastiken von Houdon und Adrian de Vries. Porzellane aus Meißen und Asien. Japanische Lackarbeiten und hauchzarte Fächer. Grandiose Holzschnitz- und Goldschmiedekunst. Bibliophile Kostbarkeiten und historische Dokumente.
Viele dieser einzigartigen Exponate werden auch auf herausragende Weise präsentiert. Zum Beispiel in der modernen Kunstkammer, wo sie raffiniert in Szene gesetzt werden. Thüringens "Grünes Gewölbe" ist übrigens ein Teil des Gesamtkonzepts "Barockes Universum Gotha", an dem bis 2014 mit Hochdruck gearbeitet wird. Ziel: Das Schloss mit Herzoglichem Museum, umliegenden Gärten und Schlosspark wieder genau so erlebbar zu machen wie zu Zeiten Ernsts des Frommen.
Als Ernst 1675 stirbt, wird das Herzogtum unter seinen sieben Söhnen aufgeteilt. Ein Teil davon: Sachsen-Meiningen. Auch dort sorgt 200 Jahre später ein außergewöhnlicher Potentat für weltweiten Nachhall. Herzog Georg II. nämlich ist nicht nur ein reformfreudiger Landesvater, sondern auch leidenschaftlicher Kunstliebhaber. Als "Theaterherzog" entwickelt er ab 1866 mit seinem Hoftheater einen neuen Theaterstil, schickt sein Ensemble damit auf über 80 Gastspielreisen durch Europa und sorgt überall für Begeisterung. Die "Meininger" werden zum Synonym für zeitgemäßes Theater. Nach ihrem Vorbild gründet sich die Royal Shakespeare Company. Ihre Spielweise inspiriert die russischen Star-Regisseure Stanislavski und Eisenstein, später auch Lee Strassberg in New York.
Aus dieser glanzvollen Ära haben vor allem aber etliche fantastische Bühnenbilder die Zeiten überdauert. Ob "Sommernachtstraum", "Wilhelm Tell", "Julius Cäsar" oder "Käthchen von Heilbronn", die monumentalen Dekorationen sind mit ihrer Tiefenräumlichkeit, Farbwirkung oder Detailtreue atemberaubend.
Im Theatermuseum "Zauberwelt der Kulisse" wird jährlich wechselnd ein Bühnenbild mit Lichtstimmungen und Geräuschen effektvoll zum Leben erweckt. Das Meininger Theater genießt bis heute einen guten Ruf und ist ein großer Magnet in der kleinen Residenzstadt an der Werra.
In Rudolstadt an der Saale wiederum dominiert wie in Gotha ein überaus imposantes Bauwerk das Stadtbild. Die Heidecksburg, bis 1918 Residenzschloss der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt, ist ohne Zweifel das prachtvollste Barockschloss des 18. Jahrhunderts im Freistaat. Ein prunkvoller Regierungssitz mit fast 250 Räumen - wohlgemerkt in einem thüringischen Kleckerfürstentum. Auch hier ziehen Sammlungen und Ausstellungen jede Menge Besucher in ihren Bann. Ein herausragendes Beispiel: Rococo en miniature. Eine umwerfende Fabelwelt im Maßstab 1:50, in außergewöhnlicher Präzision erschaffen von den Künstlern Gerhard Bätz und Manfred Kiedorf über 50 Jahre hinweg.
Ihr ständig perfektionierter Miniaturkosmos besteht aus zwei fiktiven Königreichen mit allem Drum und Dran. Prachtvollen Schlössern nebst luxuriösem Inventar, bis ins kleinste Detail akribisch ausgearbeitet. Jeder Parkettfußboden ist naturgetreu verlegt, jedes Gemälde stilecht ausgeführt. Selbst die winzigste Schublade in den Kabinettschränkchen lässt sich öffnen und ihr Innenleben - mit Lupe - bestaunen. Mit gleicher Genialität und Detailtreue gingen Bätz und Kiedorf an die vielen hundert nur drei bis vier Zentimeter hohen Figuren. Die pure Lust am Entdecken und Staunen - hier wird sie geweckt und ausgiebig belohnt.