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Tatort Helene Fischer "Es zieht!" Tatort Helene Fischer "Es zieht!": Was weltweit als typisch deutsch gilt

Von Rebecca Erken 29.08.2017, 14:58
German Darling: Schlagersängerin Helene Fischer.
German Darling: Schlagersängerin Helene Fischer. dpa-Zentralbild

Was ist das für ein Volk, das rauschhafte Partys mit Helene Fischer und Disco Fox verbindet? Dass sich samstags auf Schützenfesten und in Studentenclubs zu der Heile-Welt-Musik der Schlagersängerin in den Armen liegt, um am Sonntag diszipliniert und geschlossen den Tatort zu schauen?

Das wollten auch die Journalistin Silke Wichert und die Mode-Expertin Nina Zywietz wissen. Sie haben sich in ihrem Buch „The Germans“ an ein brisantes Thema herangewagt: Den „Stil“ der Deutschen, von dem manche doch dachten, dass es ihn gar nicht gebe. Die Autorinnen, die beide einige Zeit im Ausland verbrachten, wurden immer wieder gefragt, was denn eigentlich typisch deutsch sei und gehen der Frage in ihrem kürzlich bei teNeues erschienenen Buch nach.

Dabei lassen sie sich von Wissenschaftlern und anderen Experten den Fußball, die Mode oder auch das Heimatgefühl der Deutschen erklären. Interessant auch, dass der Buchtitel über die Deutschen „The Germans“ heißt – wahrscheinlich auch schon wieder typisch deutsch.

Zwischen Traumschiff und Tatort, zwischen Kitsch und Totschlag

Die Deutschen, so suggeriert es das Buch, scheinen in ihren Vorlieben zu schwanken zwischen verkitschten Paradies-Welten wie in der Serie „Traumschiff“ oder der Glitzer-Show von Helene Fischer und wohl dosiertem Mord und Totschlag am Sonntagabend.

Die Deutschen gehen zum Lachen in den Partykeller

Die Bildauswahl lässt dabei tief in die deutsche Seele blicken und kratzt nicht nur oberflächlich am Stil der Deutschen. Da sieht man diese Deutschen, die um Spaß zu haben, in den Keller gehen, um genau zu sein, in den eigens dafür gebauten Partykeller. Auch die deutschen Fräuleinunder dürfen nicht fehlen: von Claudia Schiffer über Heidi Klum bis zu Toni Garrn, Julia Stegner und Anna Ewers.

Dabei werden diese Frauen nicht ausschließlich mit Schönheit in Verbindung gebracht, sondern mit typisch deutschen Tugenden. Attribute, die etwa mit Claudia Schiffer assoziiert werden: „diszipliniert, professionell, pragmatisch“, so Sichert. „Es geht hier wohlgemerkt um eine der schönsten Frauen der Welt, nicht um die Vorzeige-Azubine in der Steuerkanzlei.“

Fußball-Fanmeilen, Helene Fischer, Til Schweiger und Dinner for One

Besonders spannend, wenn es um „the Germans“ geht: Was denken eigentlich die anderen über uns? Für das Kapitel „Externe Angelegenheiten“ haben die Autorinnen die Auslandskorrespondenten großer internationaler Tageszeitungen befragt.

Da sagt Alison Smale von der New York Times etwa: „Viele Faszinationen wie Tatort, Helene Fischer oder Fan-Meilen sind mir relativ verständlich, mit Ausnahme vielleicht von Til Schweiger, dessen ständige Präsenz in der Gala sich mir nicht erschließt.“ In Anspielung auf „Dinner for One“ erklärt Smale: „Was mir ein völliges Rätsel bleibt, ist die Angewohnheit eine jahrzehntealte, pseudo-britische Serie am Silvesterabend zu schauen.“

„Genau!“ und der Kölner Karneval

Die Korrespondentin der spanischen Tageszeitung „La Vanguardia“ offenbart ihr deutsches Lieblingswort: „Genau“. „Ein sehr hilfreiches Wort für Ausländer. Es passt eigentlich immer, wenn man nicht weiß, was man sagen soll“, so María-Paz López. Ein Rätsel sei für sie immer noch der Kölner Karneval: „Wie die Leute beim Karneval in Köln plötzlich ihr ganzes Verhalten ändern und komplett durchdrehen, ist mir immer noch ein Rätsel.“

Ausrasten mit Ansage, aber dann richtig – auch das ist wahrscheinlich typisch deutsch. Wenn schon rauschhaftes Feiern, dann muss man sich darauf auch ordentlich vorbereiten dürfen, um sich ausstaffiert in Uniform – ob Karnevalskostüm oder Tracht beim Oktoberfest – der kollektiv verordneten Orgie hingeben.

„In Deutschland sollte man davon ausgehen, dass Dinge verboten sind“

Schließlich muss man von ihr sehr lange zehren. Danach, im grauen Alltag, ist nämlich „Schluss mit lustig“.  „In Deutschland sollte man davon ausgehen, dass Dinge verboten sind – außer sie sind ausdrücklich erlaubt“, warnt die Guardian-Korrespondentin Conelly. In England sei es dagegen genau anders herum.

Entsprechend ernst nehmen die Deutschen die vielen Verbote (falls nicht gerade Oktoberfest oder Karneval ist). Die spanische Korrespondentin López wundert sich jedenfalls immer noch über die Deutschen, die „an der roten Fußgängerampel warten, obwohl weit und breit kein Auto in Sicht ist – und zwar nachts um eins.“

Nicht ohne mein Halstuch

Tja, und was ist jetzt mit dem deutschen Stil? Gibt es den überhaupt? „Die zur Schau getragene Gleichgültigkeit gegenüber den Kleidern, die man trägt, das ist im Prinzip ein sehr modischer Gestus“, heißt es in „The Germans“. Ein Accessoire, das dabei nach Ansicht fast aller befragten Auslandskorrespondenten typisch für den deutschen Dresscode ist: ein Halstuch oder ein Schal.

„Es zieht“

Das hat womöglich damit zu tun, dass sich die Deutschen immer und überall darüber echauffieren, dass „es zieht“, wie Guardian-Korrespondentin Conelly beobachtet hat: „Ich war einmal in der Alhambra in Spanien, eine Gruppe deutscher Touristen ging an mir vorbei , und statt zu sagen, wie unheimlich schön es ist, kam die Bemerkung: „Es zieht.“

Hoch lebe die Freikörperkultur

Klamotten sind ja sowieso überbewertet – vorausgesetzt man befindet sich in den dafür vorgesehenen Bereichen. Eine Szene vom FKK-Strand wird Conelly jedenfalls niemals vergessen: „Zwei pensionierte FKK-Paare, die versuchen, gemeinsam eine Strandmuschel zusammenzufalten und sich dabei siezen, um schließlich händeschüttelnd auseinanderzugehen.“ Wahrscheinlich haben sie sich zuvor noch über ihre akademischen Titel ausgetauscht, um sich von Frau Prof. und Herrn Dr. auch angemessen verabschieden zu können. Vollkommen egal, ob man vorher ALLES voneinander gesehen hat. So sind sie, diese „Germans“.

Silke Wichert und Nina Zywietz: „The Germans. Stil und Ikonen einer Nationen“, 224 Seiten, 72 Farb- und 16 Schwarz-Weiß-Fotografien, teNeues, 39,90 Euro.