1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Reisen
  6. >
  7. Schweiz: Schweiz: Weißbart-Parade

Schweiz Schweiz: Weißbart-Parade

Von MANFRED LÄDTKE 02.12.2010, 17:14

Ho, Ho, Ho! Durch diese Gasse müssen sie kommen - aber nicht zu Pferde, sondern auf heißen Öfen mit 100 PS. Tausende Schaulustige werden am Freitag wieder das Spektakel verfolgen, wenn rund 50 Schweizer Niggi Näggis (Nikoläuse) auf weihnachtlich geschmückten Harleys in das Stadtzentrum von Basel knattern. Wer zuerst kommt, sieht am meisten bei Europas größter Nikolaus-Parade, die allerdings - obwohl sie in diesem Jahr schon zum zwölften Mal stattfindet, noch immer als ein Geheimtipp gilt.

Die Idee zum "Harley Niggi Näggi" brachte ein Schweizer Harley-Fahrer aus seinem Winterurlaub in Florida mit. Als er dort den Sound seiner Motorradmarke hörte und sich umschaute, sah er auf der Maschine keinen Biker in Lederkluft, sondern einen Nikolaus.

Wenn vormittags Basels Marktplatz noch eine Nikolaus freie Zone ist, sind die Straßen für andere himmlische Entdeckungen in der adventlich geschmückten Stadt frei. Zum Beispiel für einen Besuch in der Weihnachtsstube von Johann Wanner, den man in New York nur als "Father Christmas" kennt, weil er den großen Weihnachtsbaum im Weißen Haus schmückt. Zu Wanners prominenter Kundschaft zählen auch die Queen und der Papst.

In der Schneidergasse 7 führt eine steile Treppe hinauf in Wanners Welt aus Kitsch, Kunst und Kostbarkeiten. Das "Weihnachtshaus" beherbergt unter gläsernen Kronenleuchtern und vor goldenen Spiegeln eine Wunderwelt mit Engelchen, Teddys, Sternen, Christbäumen, Schmuck und Glasskulpturen. "Das hier ist ein Unikat", sagt Johann Wanner stolz. Behutsam legt er eine rot-weiß gepunktete Glaskugel auf den Tisch. Das Muster sei wieder im Kommen, weiß der Karl Lagerfeld der Weihnachtsmaskerade, der jedes Jahr andere Farb- und Musterkombinationen entwirft und der davon überzeugt ist, dass Schmuck ein Spiegel der Gesellschaft ist. Wanners Lieblingsstück ist ein schwarz-violettes Exemplar von der stattlichen Größe einer Pampelmuse. Die Kugel sei das Sinnbild der Vollkommenheit, schwärmt der 70-Jährige, der für sich herausgefunden hat, dass kitschig nur ist, was keine Harmonie besitzt.

Draußen vor der Tür wurde inzwischen die Freie Straße für den bevorstehende Motorrad-Parade der Nikoläuse gesperrt. Von weither lässt sich ein Grollen und Grummeln zu vernehmen. Kenner hören aus dem dumpfen Röhren der Motoren längst den Harley-Sound heraus. Basler "Santigläuse" mit ihrem "Schmutzli" (Knecht Ruprecht) und zarte Engel stehen Spalier, als die mit blinkenden Weihnachtslichtern, Plüschtieren und Geschenken geschmückten Maschinen im Schritttempo den Markt erreichen. Präzise wie ein Schweizer Uhrwerk rollen in streng vorgeschriebener Formation immer mehr Cläuse und Cläusinnen auf ihren Maschinen die Flaniermeile entlang. Am Ende des Marktplatzes stoppt der schillernde Konvoi. Nun erhalten die Kinder Geschenke, allerdings nur, wenn sie zuvor mutig auf der Bühne ein "Versli" aufsagen.

Nach der Bescherung leert sich der Platz allmählich. Ein paar Nikoläuse haben Bart und Mütze abgelegt und blättern im opulenten "Öffentlichen Wunschbuch", das im Hof des nahen Rathauses auf einem Tisch liegt. "Ich wünsche meinem Papi schöne Weihnachten im Himmel", hat ein kleiner Junge geschrieben. Und eine Frau wünschte sich, endlich der großen Liebe ihres Lebens zu begegnen. Ein Jahr später klebte sie ihr Hochzeitsfoto in das Buch. Ho, Ho, Ho!