Schweden Schweden: Wanderungen durch die Stille Lapplands

Jäckvik/dpa. - «Es gibt Menschen, die haben noch nie die Stille gehört», sagt Björn Juhlin. Der Naturführer breitet ein Rentierfell auf dem weichen Heidekraut aus. Hier, unterhalb eines Berggipfels im Nationalpark Pieljekaise, kann er sie gestressten Touristen bieten, die große Stille.
Der Nationalpark Pieljekaise liegt im schwedischen Lappland, rund 50 Kilometer südlich des Polarkreises. Vom Dorf Jäckvik schlängelt sich ein Wanderweg über 27 Kilometer durch Bergbirkenwald, über Gebirgsheidekraut und kahlen Fels bis zum Dorf Adolfström. Der Pfad ist ein Teilabschnitt des berühmten «Kungsleden», der 425 Kilometer lang von Hemavan bis Abisko durch Lappland führt.
Man trifft nur wenige Wanderer hier. Das Naturschutzgebiet wirddeshalb auch der «vergessene Nationalpark» genannt. «Einunentdecktes Paradies, besonders im Herbst», sagt Björn Juhlin. Er wohnt mit seiner Familie auf einem entlegenen Hof bei Arjeplog. In der gleichnamigen Gemeinde leben 3100 Einwohner - auf einer Fläche von 18 000 Quadratkilometern, halb so groß wie Baden-Württemberg.
Der kleine Ort hat außer zwei Supermärkten, zwei Tankstellen, ein paar Fastfood-Restaurants und Pizzerien sowie einem Angelgeschäftnicht viel zu bieten. Er versprüht den Charme eines amerikanischenOrtes irgendwo in der Prärie. Doch statt von Wüste ist er umgebenvon mehr als 8000 Seen. Die Bergwelt um Arjeplog ist eines dergrößten unbesiedelten Gebiete Schwedens.
Im Sommer geht die Sonne hier nie unter, im Winter wird es anvielen Tagen kaum hell. Bevor aber die Dunkelheit kommt, explodiertdie Natur im schwedischen «Indian Summer» in den grellsten Gelb-,Orange- und Rottönen.
Vom einem der vielen sanft gewölbten Gipfel überblickt man denFarbenrausch: Das Laub der Birken verfärbt sich gelb, dunkelrotleuchten die Alpen-Bärentrauben und die Gebirgsheide, im Talglitzert ein See in der Herbstsonne. In alle Richtungen scheint dieErde unendlich weit zu sein, keine Straße, kein Strommast, kein Hausweit und breit. Für Björn ist Anfang September die schönsteJahreszeit zum Wandern: «Dann haben die Mücken ihre Hochsaisonhinter sich.»
Der Weg vom kahlen Fjäll hinab in den Birkenwald führt an einerHütte vorbei. Diese öffentlich zugänglichen Holzhäuschen sind rarauf dem Weg durch den Nationalpark. Wer mehr als eine Tagestourplant, sollte ein Zelt mitnehmen - und einen warmen Schlafsack, dennim Herbst kann es in Lappland nachts schon richtig Frost geben.
In der Hütte haben Wanderer eine Gulaschsuppe zurückgelassen, ineiner Ecke ist Holz aufgestapelt. Björn holt dünne Äste aus seinemRucksack und schichtet sie in der Feuerstelle vor der Hütte aufeinige Scheite Holz. Obendrauf entzündet er trockene Birkenrinde.
Auf einem Bergkamm gegenüber haben sich Dutzende neugierigerAugenpaare auf das Lagerfeuer gerichtet. Eine Herde Rentiere ziehtdurch den Nationalpark. Rund 40 Familien der ursprünglichenSami-Bevölkerung verdienen in Arjeplog und der benachbarten GemeindeArvidsjaur noch ihren Lebensunterhalt als Rentierzüchter. Im Sommerund Herbst streifen rund 23 000 Rentiere frei durch das Fjäll.
Die Rentierzüchter Lotta und Tom Svensson sind angespannt indiesen Herbsttagen. Das samische Ehepaar wartet auf den perfektenTag, um ihre Tiere zu sammeln. Wenn das Wetter gut ist, muss einHubschrauber gemietet werden. «Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit»,erklärt Lotta. Die samische Urbevölkerung lebt seit Jahrhundertenvon der Rentierzucht. Obwohl seit den 70er Jahren Hubschrauber,Quads und Schneescooter das Zusammentreiben erleichtern, bleibt dieArbeit im Gebirge hart. Die Svenssons betreiben deshalb alsZuverdienst das Sami-Center Båtsuoj für Touristen.
«Wir wollen das Verständnis und den Respekt für das Leben derSamen stärken», erklärt Lotta. In einer Holzhütte im Wald erzähltsie Touristen vom Leben der Ureinwohner. Die Gäste sitzen aufRentierfellen rund um ein Lagerfeuer. In einer Pfanne brutzeltRentierfleisch, das mit Mandelkartoffeln serviert wird. Lottaerzählt von der Kälbermarkierung im Frühjahr, den acht Jahreszeiten,nach denen die Samen leben, und von Sami, der Sprache derUrbevölkerung, die vom Aussterben bedroht ist.
Der Wanderweg führt weiter durch dichtes Weidengestrüpp. «Hierfühlen sich Elche wohl», sagt Björn. Auch Bär, Luchs und Vielfraßleben im Nationalpark. Sie sind aber scheu und selten zu sehen. Woes zu sumpfig wird, führt der Weg über dünne Holzplanken. Je näherdas Dorf Adolfström kommt, desto mehr weichen die Birken denKiefernwäldern. Mit einem roten, typisch schwedischen Holzhausbeginnt die Zivilisation wieder.
Hinter der Ladentheke steht Marianne Thorve. Die gebürtigeStockholmerin zog 1977 nach Adolfström, zu ihrem Mann Jan, der ihrWanderguide war. «Wer hier glücklich werden will, darf keinHerdentier sein», sagt sie. Und er muss die Stille schätzen.
Tourist-Info Arjeplog
Torget, S-93090 Arjeplog
Tel. 0046 / 961 / 14 500