Italien Italien: Wo der Frühling überwintert
Halle (Saale)/MZ. - Bei Antipasti und Wildschweinragout kann man unten in der Altstadt schwelgen. Von hier oben, der kleinen Terrasse unserer Residenzia über Rapallo, ist es die sensationelle Aussicht auf die palmengesäumte Uferpromenade, auf den Hafen und seine Yachten, auf Adelspaläste im Pinienteppich - köstlicher als jedes Gourmetgericht. Welches bezahlbare Hotel kann da mithalten?
Willkommen an der Ligurischen Riviera, der Ponente im Westen von Ventimiglia bis Genua, und der Levante südöstlich bis hin nach La Spezia - ein 300 Kilometer langer Küstensaum vor den dunklen Bergketten der Ligurischen Alpen.
Spätestens in Santa Margherita möchte man aus dem Zug springen. Mitten hinein in dieses Fin-de-siècle-Idyll mit den weißen Grandhotels und Palästen, mit Agaven, Pinien und Zypressen. Riviera! Das allein schon klingt nach Ladys in Spitzenkleidern unter Sonnenschirmen und Lordschaften auf der Flucht vor dem Nieselnebel Londons.
An der Levante, zwischen Portofino, Rapallo, Sestri und Cinque Terre, ist die Küste elegant wie ihr Name klangvoll. Die fantasievollen Palazzi bewohnen heute Multiunternehmer und die Hochfinanz. Jedenfalls rund um Portofino, wo Prominente wie Armani, die Agnellis, die Pirellis, Berlusconi und Filmstars ihre Villen verstecken. In den Hafen mit den farbigen, leicht blätternden Fassaden kommt man am besten per Boot, einen Parkplatz findet man ohnehin kaum.
Camogli, ein Ort weiter, gleicht auch so einer Opernkulisse. Das Fischerstädtchen hat keinen Platz zwischen Hafen und Steilküste. Es strebt mit sechsgeschossigen Wohnbauten - die Fassaden in Scheinarchitektur in blassen Gelb-, Rot- und Ockertönen - Manhattan-gleich in die Höhe und beeindruckt in seiner geschlossenen Mächtigkeit.
Dann Sestri - nicht so mondän wie Portofino und Santa Margherita, aber mit Strandpalazzi, die beim Sonnenuntergang ihre Farben glühen lassen, einer kopfsteingepflasterten Altstadt und - schon die Namen machen sehnsüchtig - der Baia delle Favole, Märchenbucht, und der Baia del Silenzio, Bucht der Stille.
Bald tauchen die steilen Weinberge der Cinque Terre auf. Eingeschachtelt in die Steilküsten hocken vier der fünf Örtchen wie Storchennester auf den Felsen: Vernazza, Corniglia, Manarola, Riomaggiore. Nur Monterosso bleibt unten.
Der Wanderweg "Sentiero Azzuro", der hoch über dem Meer durch Rebterrassen führt, ist ohne Übertreibung einer der schönsten überhaupt. Ein Weg der großen Gefühle ist die in die Steilküstenwände geschlagene, mit Liebesschlössern und -ketten dekorierte Via dell'Amore von Riomaggiore nach Manarola.
Schließlich, am Golf von La Spezia, der Hafen der Venus, Portovenere, mit farbigen, hohen, schmalen Häusern - einst bewohnte Festungsmauer zum Schutz vor Feinden und Piraten - mit Stadttor und hoher Felsenkirche. Der Blick auf Meer und Golf ist atemberaubend. Lord Byron, der englische Romantiker, schwamm von hier hinüber nach Lerici zum exzentrischen Poeten Shelley, der ein weißes Haus am Meer bewohnte.
"Golfo dei Poeti" hieß er von da an unter den Eingeweihten. Gässchen in jedem Ort, endlose Stiegen, Torbögen, Terrassen, Durchblicke auf Kirchen, Türme und Burgruinen, unzählige Fotomotive. Nach Cinque-Terre-Wein unter Mimosenbäumen geht es per Boot nach Rapallo zurück. Wunderschön, die in frischem Terracotta bis zu müdem Lavendel angemalten fünf Dörfer im Abendlicht von der Seeseite: Zauber in Zeitlupe.
Von der Autostrada ab Rapallo - in die Geschichte eingegangen durch den 1922 abgeschlossenen Vertrag zwischen Deutschland und Russland - sieht man, wie sich die Landschaft Richtung Genua zu einer Endlos-Stadt verheddert.
Verlässt man die tunnel- und viaduktreichste Autobahn Europas, bleibt einem nur der Weg über die meist verstopfte Küstenstraße, die alte Via Aurelia der Römer. Nähert man sich der "Blumenriviera" und San Remo, so nehmen die Staus mit den anschwellenden Schwärmen der abenteuerlich kurvenden Mopedfahrer erneut zu.
Nun also an der Ponente, Riviera der untergehenden Sonne, im milden Klima von Bordighera und San Remo. Hier "überwintert der Frühling", "überwinterte" im 19. Jahrhundert der halbe europäische Adel. Es kamen die Romanows, die Hohenzollern, die Zarin Maria Alexandrowna, der 99-Tage-Kaiser Friedrich III. Alfred Nobels Villa ist noch heute zu besichtigen.
Charme und Glamour der vergangenen Zeit lassen Grand Hotels wie Londra und Royal erahnen. Die Fassade des Casinos ist edel wie einst, drinnen aber hat das Laster nicht mehr den alten Stil und Glanz. Düster und aus anderer Welt ist der Altstadthügel La Pigna mit seinen Labyrinthen aus Gassen, Torbögen und Treppen.